Mit der Erde im Bunde: Frauen und die solidarische Lebensweise

Mitten in der Offenbarung des Johannes erscheint eine namenlose Frauengestalt, die unter Gefahren ein Kind zu Welt bringt und schließlich vor dem Drachen fliehen muss, der dort wütet. Es ist eine surreale Szene. Der Drache speit ihr einen Wasserschwall hinterher, aber dann schluckt die Erde das Wasser einfach weg und rettet so die Frau.

Mich hat dieses krasse Bild jüngst ganz unmittelbar angesprochen. Erstens, weil sich eine Mutter um das Überleben ihres Kindes in einer aus den Fugen geratenen Welt sorgt. Diese Fürsorge für kommende Generationen (und für alles Schwache und Schutzbedürftige) hat ja auch bei uns ein überwiegend weibliches Gesicht. Nicht nur das von Klima-Aktivistinnen, sondern auch in den meisten, wenn nicht allen sozialen Berufen. Und ehrenamtlichen Funktionen, auch und gerade in den Kirchen.

Der Fotograf Adrien Taylor schreibt: „I was blown away by the beauty of the Bangladeshi people — both in their character and appearance. Bangladesh faces losing 18% of its land, displacing thirty million people, with one metre sea-level rise.“
unsplash-logoAdrien Taylor

Dagegen steht der Drache für alles, was aktuell unter „toxischer Männlichkeit“ thematisiert wird: Aggression, Ausbeutung, Dominanz, Dogmatismus, Unterwerfung. Der Drache erbricht eine Flut von Hass gegen die Frau. Ich finde, es trifft die Situation hier und heute wirklich gut, wenn man betrachtet, wie junge Frauen wie Greta Thunberg von den Alpha-Fachmännern entweder mundtot gemacht oder gleich mit Vernichtung bedroht werden. Auf der re;publica wurde letzte Woche in vielen Foren diskutiert, wie diese Flut zu stoppen wäre.

Es sind sicher nicht ausschließlich Männer, die das betreiben, aber eben vorwiegend. Und die Wurzeln der Klimakatastrophe liegen in einer typisch „männlichen“ Lebensweise, die Fleischverzehr und Verbrennungsmotoren für identitätsstiftend hält. Das haben ja auch Ulrich Brand und Markus Wissen in „Imperiale Lebensweise“ deutlich gemacht. Diese Lebenseinstellung hinterlässt überall verbrannte Erde. Und Eltern, die mit ihren Kindern vor steigendem Meeresspiegel und sich stetig verschärfenden Naturkatastrophen fliehen müssen.

Und nun ist es ausgerechnet die Erde, die der Frau zu Hilfe kommt. „Weibliche“ Kooperation neutralisiert „männliche“ Konkurrenz und Aggression. Eine Partnerschaft zwischen der Erde und der verwundbaren Mutter tut sich auf. Das hat mich an Joana Macys Betonung von Dankbarkeit und Verbundenheit mit der Schöpfung erinnert. Und an Bruno Latours These, dass „das Terrestrische“ inzwischen als eigenständiger Akteur in der globalen Politik auftritt (N.B.: Das Kapital tut das schon längst, einige sprechen daher auch vom „Kapitalozän“).

Die Allianz zwischen der Frau und der Erde ist ein schönes Bild für eine solidarische Lebenweise – das Gegenstück zum imperialen Modus der Existenz.

Wenn wir also heute als Christ*innen und Kirchen fragen, wo unser Platz in diesen Auseinandersetzungen ist, dann legt uns diese Vision nahe, ihn an der Seite all der Frauen (und Kinder) zu finden, die den Großteil der Kosten für die imperiale Lebensweise tragen. Und an der Seite der Erde, die sich gegen den patriarchalen Kapitalismus aufbäumt.

Solche Bündnisse gilt es zu schmieden und zu stärken, zum Beispiel beim Earth Day, der 2020 zum 50. Mal stattfindet. Überall, wo Männerbünde in Politik, Wirtschaft und Kirche dominieren, ist – um Himmels willen – Wachsamkeit und Widerstand angesagt.

Nur dann wird es uns allen besser gehen.

Share

Endlich erhältlich: Öffentlich Glauben von Miroslav Volf

Im vergangenen Jahr habe ich Miroslav Volfs A Public Faith für den Francke-Verlag übersetzt und nun ist es endlich so weit, das Buch ist auf dem deutschen Markt. Ganz besonders freut mich, dass Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm das Vorwort für seinen Kollegen aus Yale geschrieben hat.

Die Frage, wie und in welcher Form Christen am gesellschaftliche Leben teilnehmen und teilnehmen sollten, hat schon immer die Gemüter erhitzt. Aktuell etwa positionieren sich die große Kirchen in der Flüchtlingskrise sehr eindeutig, was bei konservativen Parteien und deren kirchlichen Sympathisanten mit Missfallen zur Kenntnis genommen wird (da will man die Bibel auf einmal nicht mehr ganz so wörtlich nehmen). Aber es gab und gibt ja auch die säkularistische Forderung, Kirchen und Religion aus dem öffentlichen Raum möglichst vollständig herauszuhalten.

Miroslav Volf geht davon aus, dass praktisch gelebter Glaube auf „menschliches Gedeihen“ hin angelegt ist, also ein erfülltes Leben und ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft. Die Frage nach dem ewigen Heil Er behandelt zwei Fehlfunktionen, nämlich den weltflüchtigen (und damit untätigen) Glauben und den übergriffigen Glauben.

Volf entwickelt diese doppelte Abgrenzung sehr sorgfältig und buchstabiert dann durch, wie Christen (aber auch Juden und Muslime) in einem säkularen Staat und einer pluralistischen Gesellschaft so leben, dass es dem Gemeinwohl nützt und sich jeder Tendenz zu religiösem Totalitarismus widersetzt. Ein wichtiges Thema, denn

die religiöse Vielfalt westlicher Länder spiegelt die zunehmende religiöse Vielfalt der Welt als ganzer wider. Was die einzelnen Länder angeht ist religiöse Vielfalt freilich kein westliches Phänomen. In mancher Hinsicht ist der Westen sogar spät dran. Einige nichtwestliche Länder wie Indien zum Beispiel leben seit Jahrhunderten mit religiösem Pluralismus.12 Andere werden wahrscheinlich zunehmend pluralistisch, wobei verschiedene Religionen – allen voran Christentum und Islam – um Mitglieder wie um gesellschaftliche Macht und politischen Einfluss wetteifern. Global und national wird religiöse Vielfalt in den nächsten Jahren in wichtiges Thema bleiben. Die modernistische Sehnsucht nach einer säkularen Welt muss zwangsläufig zu Enttäuschungen führen, genauso wie die Nostalgie eines „christlichen Europa“ oder eines „christlichen Amerika“ genau das bleiben muss: unerfüllte Nostalgie.

Nicht die schlechteste Wahl, wenn Ihr demnächst Eure Weihnachts-Wunschzettel zusammenstellt…

Share