Keltische Klarstellungen

Ian Bradley war einer der ersten Autoren, der sich mit dem keltischen Christentum befasste. Viele sind ihm gefolgt (mich eingeschlossen), einige seiner Texte wurden auch ins Deutsche übersetzt. Nun zieht er eine kritische Bilanz dieser literarischen Beschäftigung, für die er selbst im Laufe der Jahre auch immer wieder Kritik abbekommen hat.

Bradley, der in St. Andrews Kulturgeschichte lehrte, fragt sich und uns: Diente das goldene Zeitalter des Christentums in Irland und später auch im Westen Britanniens vor allem als Projektionsfläche für Wünsche und Phantasien, die Christen im Schnittfeld von Kirche, Ökologie, Feminismus und Esoterik entwickelt hatten? Verklären heutige Aktualisierungen diese Zeit, so wie die Celtic Revival im Kulturbetrieb ja auch eine stark romantisierende Tendenz an den Tag legte?

Ja, sagt Bradley, all das gab und gibt es. Auch in seinen eigenen Büchern. Aber schon seit etlichen Jahren ist er um eine nüchterne und differenzierte Darstellung bemüht, und sein eben erschienenes Buch „Following the Celtic Way. A New Assessment of Celtic Christianity“ ist das Produkt dieser gründlichen Überprüfung. Wer in das Thema einsteigen will, findet hier eine Mischung aus Forschungsbericht und Materialsammlung. Nicht immer ganz flüssig zu lesen, aber akribisch und umsichtig zusammengestellt.

Große Mühe gibt Bradley sich im Mittelteil damit, alle Schlagwörter über Spiritualität und Gottesbild der Iroschotten mit meinem „P“ anfangen zu lassen. Das ist gut gemeint, aber manchmal sind mir die Begriffe darüber nicht – Achtung: „p“! – präzise oder prägnant genug ausgefallen. Große Mühe gibt er sich, zu jedem Charakteristikum, das er nennt, alte Quellentexte anzuführen und auch die Grenzen dessen zu markieren, was die Texte hergeben und was nicht. Er kritisiert andere Autoren und deren Spekulationen dabei nicht direkt, sondern stellt lediglich dezent fest, dass sich hier und da keine historischen Belege finden ließen.

Am Ende sammelt Bradley die vielen Puzzleteile des keltisch-christlichen Vermächtnisses noch einmal zusammen und klopft sie auf ihre Bedeutung für heute ab. Ich bin erleichtert: Es ist doch einiges übrig geblieben. Das hätte mich auch gewundert, denn solch originelle Errungenschaften wie der Anam  Chara (Seelenfreund und geistlicher Begleiter) oder die peregrinatio – jene Pilgerschaft, die nicht dem Besuch heiliger Stätten dient, sondern sich selbst in der Fremde verlieren und Gott finden möchte –  und natürlich die starke Rolle, die der Schöpfung in den alten irischen Texten und ihren großartigen Buchmalereien zukommt. Andere Leser würden vielleicht andere Punkte hervorheben – die Auswahl ist breit.

Ein schöner Aspekt sind die Gegensätze und Polaritäten, die hier vielleicht deutlicher als an vielen anderen Stellen der Kirchengeschichte gemeinsam auftreten. Der Abt Colman soll ein heiliges Leben so beschrieben haben (S. 65):

Glaube zusammen mit Handeln, Sehnsucht mit Beständigkeit, Ruhe mit Hingabe, Keuschheit mit Demut, Fasten mit Mäßigung, Armut mit Großzügigkeit, Schweigen mit Gespräch, Austeilen mit Gleichheit, Ausdauer ohne  Klage, Enthaltsamkeit mit Ausgesetztsein, Eifer ohne Strenge, Sanftheit mit Gerechtigkeit, Zuversicht ohne Nachlässigkeit, Furcht ohne Verzweiflung, Armut ohne Stolz, Bekenntnis ohne Ausrede, Lehren mit Üben, Fortschritt ohne Ausrutscher, Bescheidenheit gegenüber den Hochnäsigen, Ebenmaß gegenüber den Groben, Arbeit ohne Groll, Schlichtheit mit Weisheit; Demut ohne Parteilichkeit.

Man kann sich das nur dynamisch vorstellen, als Rhyhtmus, nicht als statisches Gleichgewicht und permanente Balance. Ich hatte das Spannungsmodell vor ein paar Jahren schon einmal in ein nicht ganz so komplexes Bild gepackt. Hier ist es noch einmal:

 

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