Der Kampf um das Kreuz: Autoritäres Symbol oder Zeichen geschenkter Freiheit?

Bei seinem Auftritt auf der Landessynode hat sich der Ministerpräsident diese Woche als Befürworter von Kreuzen im öffentlichen Raum präsentiert. Alexander Jungkunz hat das in einem Kommentar für die Nürnberger Nachrichten mit dem Stichwort „Neue Kreuzritter“ aufgegriffen und an Carl Schmitt erinnert, der im letzten Jahrhundert die Devise ausgegeben hatte, man solle doch „die Wirkung Christi im sozialen und politischen Bereich unschädlich machen; das Christentum entanarchisieren, ihm aber im Hintergrund eine gewisse legitimierende Wirkung belassen und jedenfalls nicht darauf verzichten.“ Religion dient der Macht, nicht der Freiheit. Ergo basteln die Minister der CSU in München wie in Berlin an einer Politik, die Freiheiten von Minderheiten und Andersdenkenden unter dem Vorwand der Sicherheit einschränkt und dem Staat immer mehr Befugnisse erteilt, die willkürlich ausgeübt werden können. Das ergibt eine Annäherung an den Ausnahmezustand in Trippelschritten. Auch dieser Satz stammt nämlich von Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“

Bei den Synodalen dürfte Söder damit kaum gepunktet haben, aber das ist wohl auch nicht seine Zielgruppe.

Das Kreuz als eine Art heimatliches Totem?

Dazu passt  ein selbstkritischer Text über den Evangelikalismus, den Mark Labberton vom renommierten Fuller Seminary jüngst veröffentlichte. Auch da ging es – unter anderem, aber an erster Stelle – um Macht. Sein Fazit zum Verhältnis von Evangelikalismus und Macht lautet: „Der offensichtliche Schulterschluss Evangelikaler mit einem Machtgebrauch, der auf Dominanz, Kontrolle und Überlegenheit setzt und den Sieg über Mitgefühl und Gerechtigkeit, bringt Jesus mehr mit den Strategien des römischen Kaisers in Verbindung als mit der guten Nachricht des Evangeliums.“ Er erwähnt das Kreuz hier nicht eigens, aber implizit wehrt sich auch Labberton gegen den Versuch, das Kreuz vor den Karren autoritärer Herrschaft zu spannen.

Dass dies kein rein amerikanisches Problem ist, zeigen die Diskussionen, die im frommen Spektrum überall da ausbrechen, wo nach einen Gottesbild und -Begriff gesucht wird, der Gottes Allmacht (und zwar exakt im Schmitt’schen Sinn von Souveränität, die an keine Verantwortung mehr gebunden ist und sich selbst legitimiert) zurücknimmt zugunsten seiner Barmherzigkeit, Liebe und Nähe zu einer leidenden Welt. Wann immer Gottes Macht und Liebe in Spannung zu einander geraten, löst diese theologische Tradition den Konflikt zugunsten der schrankenlosen Macht auf. „Gott“ droht zur Chiffre für einen reinen Machtkult zu degenerieren.

Auf katholischer Seite hat der DLF diese Entwicklung aktuell für Kroatien nachgezeichnet. Ein Kritiker sagt über den nationalkonservativen Kurs der Bischöfe dort: „Die Menschen wurden nicht ermutigt, mit dem eigenen Kopf zu denken, sondern sollten einfach einer Autorität folgen.“ Ein anderer spricht von einem opportunen „Fake-Katholizismus“, der auf einmal viele Anhänger findet.

Wenn wir das mit dem Kreuz wirklich ernst nehmen, dann darf es zu einem solch autoritären Stil in Kirche und Politik nicht kommen. Wir müssen besser verstehen und vermitteln, was Paulus meint, wenn er schreibt, dass die Schwachheit Gottes stärker ist, als die Menschen es sind. Wer menschliche Schwachheit verachtet, wer Macht nicht aus der Hand geben kann, wer auf Vergeltung sinnt für vergangene Kränkungen und Demütigungen, der hat Gott noch nicht verstanden – und schon gar nicht auf seiner Seite.

Zuletzt: Gibt man den Suchbegriff „weakness“ in die Bilderdatenbank von Unsplash.com ein, dann kommen erstens nur wenige Bilder und zweitens sind überall Frauen darauf. Das wirft die Frage auf, ob unsere Vorstellungen von Männlichkeit und unsere Vorstellungen von Macht (bzw. dem richtigen Umgang mit ihr) nicht ähnlich problematisch sind.

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