Die richtige Wahl treffen

Vielleicht ist Kapstadt gar kein so schlechter Ort, um diesen Post zu schreiben: Hier treffen bitterste (und weiter wachsende!) Armut und maßloser Reichtum unvermittelt aufeinander. Im Hafen schwimmen die Jachten der Milliardäre (s.u.), im Einkaufszentrum kann der globale Tourist bei H&M shoppen und bei Starbucks Pause machen, in den Restaurants Burger und Pasta futtern, fast immer mit reichlich Fleisch. Draußen auf den Straßen sehen wir derweil die Obdachlosen und Bettler, die eine Plane zwischen den Leitplanken spannen und drunter hausen.

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Was hat das mit der Wahl bei uns zu tun? Eine ganz Menge: Was man hier auf engem Raum sieht, ist bei uns besser verschleiert. Ulrich Brand und Markus Wissen nennen das die Imperiale Lebensweise. Ihre Wurzeln reichen zurück in die Kolonialzeit, ihr Prinzip ist, möglichst viele Güter in den Zentren des globalen Kapitalismus umzusetzen und die Kosten dafür auf die Peripherie abzuwälzen: Die ökologischen Kosten, die gesundheitlichen Kosten, die sozialen Kosten und die multiplen Krisen, die daraus folgen. Auch die Krise der Demokratie im Westen.

Wenn man auf die Parteien schaut, die zur Wahl stehen und realistische Aussichten haben, in den Bundestag zu kommen, dann ist meiner Meinung nach die beste Frage, wo aktiv an der Überwindung des Imperialen Lebensweise gearbeitet wird. Brand und Wissen schreiben in ihrem Buch dazu einiges. Theologisch würde ich sagen: Wo im Neuen Testament im kritischen Sinne von „Welt“ die Rede ist, dann entspricht das heute am ehesten dieser Imperialen Lebensweise.

CDU/CSU machen keine Anstalten, die Imperiale Lebensweise zu kritisieren oder gar zu verändern. Bestenfalls reden sie davon, die hässlichsten Symptome zu mildern. Angela Merkel ist angetreten mit dem impliziten Versprechen, unseren Wohlstand zu sichern. Über den Preis, den andere dafür bezahlen, verliert sie keine Worte.

Die FDP vertritt dieselbe Position und betrachtet den glücklichen Zufall, in die deutsche Mittel- und Oberschicht mit deren Lebens- und Bildungsstandard hineingeboren worden zu sein, als eine Form von Leistung. Die AfD sieht das genauso, nur dass sie es auch noch rassistisch und chauvinistisch legitimiert.

Die Sozialdemokratie hat es sich zum Ziel gesetzt, der Arbeiterschicht einen Anteil am Konsummodell der Imperialen Lebensweise zu sichern und das ist innerhalb gewisser Grenzen gelungen. Aber Fundamentalkritik an den Mechanismen, die zu den globalen Krisen (Klima, Migration, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen) führen, hat man von Martin Schulz nicht gehört.

Die Grünen verkörpern den ganzen Zwiespalt: Hier ist ein Bewusstsein vorhanden, dass sich etwas ändern muss an der Lebensweise, die uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und die Erkenntnis, dass man sich keine Freunde macht und von der FDP (Liberal heißt bei Christian Lindner: Ich lasse mich von der Armut anderer nicht einschränken) als „Verbotspartei“ beschimpft wird. Und Flüchtlingsfreunde sind auch nicht mehr populär und mehrheitsfähig. Man beschränkt sich in einigen Teilen der Partei auf eine sanft begrünte Bürgerlichkeit, quasi regenbogenfarbene Windräder. Mit Veggie-Day Kampagnen und Kritik an der Autoindustrie hält man sich – ob aus Taktik oder aus Überzeugung – lieber zurück.

Die Linke zeigt den größten Mut zur Systemkritik. Inwiefern alle Aspekte der Imperialen Lebensweise darin schon enthalten sind, scheint mir noch eine offene Frage zu sein. Wahrscheinlich werden die Linken aber auch deshalb von den Etablierten als „extremistisch“ bezeichnet.

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis habe ich in den letzten Tagen und Wochen so viele Stimmen wie noch nie gehört, die nicht auf die nächste schlimme Krise warten wollen, um für einen grundlegenden Wandel zu stimmen.

Falls ihr also noch Zeit habt, bevor Ihr morgen wählen geht, lest hier oder schaut Euch das Video unten an, lasst es alles wirken, und trefft eine gute Entscheidung.

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Friede ohne Menschen

Wahrscheinlich könnte man eine komplette Analyse der Gegenwartskultur über die Schlagwörter in Bilderdatenbanken erstellen. Zum Beispiel zum Thema Frieden. Ich war auf der Suche nach einen passenden Foto und bekam fast ausschließlich Bilder angeboten, auf denen entweder niemand zu sehen war, oder eine einzelne Person.

Frieden ist demzufolge nur dann möglich, wenn keine anderen Menschen da sind. So bald sie ins Bild kommen, stören sie den Frieden. Frieden als positives Verhältnis zwischen Menschen, vielleicht sogar zwischen vielen Menschen, so etwas kommt gar nicht recht in den Blick. Also beschränken wir uns auf spiegelglatte Bergseen und andere romantische Motive. Diese abgelegenen Orte finden bestenfalls als Fototapete den Weg in unsere quirlige, unruhige Welt, als dekorativer Kontrast.

Zeit, neue Bilder zu schaffen und an anderen Kontrasten zu arbeiten. Sonst ist Friede irgendwann nicht mehr anders zu denken als in der Isolation.

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Schöpfung – in eigenen, einfachen Worten

Am ersten Oktober ist Erntedank. Ich habe für den Familiengottesdienst eine kleine, freie Nacherzählung zur ersten Schöpfungsgeschichte geschrieben, in der es um die Themen Vielfalt und Schönheit geht. Statt im Imperfekt steht alles im Präsens und Perfekt. Ich fand – finde! – das ganz angemessen. Vielleicht inspiriert sie auch einige von euch…

Am Anfang hat Gott den Himmel und die Erde gemacht. Dazu hat er erst einmal Licht gebraucht. Deswegen gibt es bei uns Tag und Nacht: Mal ist es hell, und mal dunkel. Gott hat der Erde dazu einen kleinen Schubs gegeben. Nun dreht sie sich wie ein großer Kreisel.

Auf der Erde hat Gott dem Meer seinen Platz gegeben und dem Land. Auf dem Land lässt er Kräuter, Blumen und Bäume wachsen. Ganz viele verschiedene: Brennnesseln und Basilikum, Zitronengras und Zuckerrohr, Kartoffeln und Kapuzinerkresse, Mohnblumen und Meerrettich, Weizen und Walnüsse, Hagebutten und Himbeeren, Bananen und Birnen.

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Luke Michael

Damit nicht alle Tage gleich sind, hat Gott die Jahreszeiten geschaffen. Die Tage werden zum Sommer hin länger, zum Winter kürzer. Und den Mond, der ab- und zunimmt, und wieder ab, und wieder zu. Sterne, die man nur im Winter sieht, und manche, die sich erst im Sommer zeigen. Und dann hat er, quer über den Himmel, die Milchstraße gebaut.

Weil die Pflanzen alle still stehen, hat Gott Tiere gemacht. Manche schwimmen im Wasser, andere fliegen am Himmel und nochmal andere krabbeln und laufen über das Land. Viele Arten von Tieren. Tiere in allen möglichen Farben. Ganz winzige Tiere und riesig große Tiere. Mehr Tiere, als der Tiergarten hat. Mehr Tiere, als deine Tierbücher fassen. Sie dürfen von den Pflanzen fressen, sie düngen, dürfen Blüten bestäuben, und Samen für neue Pflanzen vergraben und ausstreuen dürfen sie auch. So helfen sie Gott.

Die Früchte sind die Nahrung für die Menschen: Obst und Gemüse, je nach Jahreszeit mehr vom einen oder mehr vom anderen. Die Menschen hat Gott geschaffen, damit er ein Gegenüber hat: Jemand, der sich mit ihm freut darüber, wie bunt diese Welt ist. Jemand, der gerne Neues entdeckt und die Abwechslung liebt. Jemand, der es genießen kann, wenn die Sonne den Abendhimmel orange färbt und der aus Orangen Saft macht, oder Marmelade, oder Obstsalat. Jemand, der findet, sauer macht lustig. Und jemand, der sich kümmert um all die Tiere, die Pflanzen, die Luft und das Wasser.

Jemand wie dich.

Denn dich hat Gott auch gemacht. Du bist etwas ganz Besonderes. Schau dich mal an. Dich gibts nur ein einziges Mal.

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Mal wieder Kulturkampf

Jesus hat die Familie radikal neu definiert und Geschlechterstereotype aufgeweicht, daran erinnert unter anderem der Predigttext für den kommenden Sonntag, in dem wir lesen: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Mit der Christologie haben die Autoren und Unterzeichner des Nashville Statement wenig am Hut. Sie spielt keine Rolle für ihre eher am Naturrecht und am Begriff der Schöpfungsordnung, und einem fundamentalistischen Bibelverständnis orientierten Einlassungen. Die Sprache der modernen Biologie wird da aufgegriffen, wo sie genehm ist („male and female reproductive structures“), und ihre Erkenntnis abgelehnt, wo es nicht ins Weltbild passt: Adam und Eva sind buchstäblich – offenbar im Sinne von „historisch“ – die ersten Menschen.

Mit anderen Worten: Binäre Heteronormativität wird hier ausdrücklich zum Dogma erhoben. Es wird explizit bestritten, dass es im Blick auf einzelne Menschen unklare Zuordnungen geben kann. Sie liegt bestenfalls in willkürlichen und fehlerhaften Selbstbeschreibungen oder Zuschreibungen begründet.

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Michael Prewett

Dann kommt der Artikel 10, er lautet: „WE AFFIRM that it is sinful to approve of homosexual immorality or transgenderism and that such approval constitutes an essential departure from Christian faithfulness and witness.“ Sünder sind also nicht nur alle, die sich als homosexuell oder Transgender betrachten und bezeichnen, sondern auch alle, die das billigen und unterstützen.

Hier ist unter Christen keine Meinungsverschiedenheit möglich, sagt das Dokument. Und auch wenn die folgenden Artikel von Vergebung und Gnade handeln, so ist doch sonnenklar, dass diese nur den Bußfertigen zuteil wird. Wer auf seiner abweichenden Meinung und Haltung beharrt, der ist verloren.

Ich habe eben als Kontrast die Barmer Theologische Erklärung durchgelesen. Gegen die Ideologie des Dritten Reiches haben die Autoren damals strikt christologisch argumentiert. Nur so konnten die plumpen Biologismen des Rassenwahns und totalitäre Machtansprüche abgewehrt werden. Aber statt sich über die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu definieren, definierten sie sich über den Bezug zu Christus.

Rechtsevangelikale in den Staaten waren schon immer gern ein bisschen Anti: Gegen kritische Bibelwissenschaft, gegen Evolutionsbiologie, gegen Sozialismus und Kommunismus. Das, was man ablehnte, hatte man oft weder richtig verstanden noch fair dargestellt. Insofern ist auch dieser Schritt noch nichts Neues.

Aber das Nashville-Statement macht eine Art Anti-Genderismus zur Glaubensgrundlage mit totalitärem Geltungsanspruch. Im Gegensatz zur Barmer Erklärung wird nur noch abstrakt auf die Bibel verwiesen, aber nicht mehr ausdrücklich aus ihr zitiert. Und das Statement führt neue Glaubensgegenstände ein, die in den bisherigen Bekenntnissen nie eine Rolle gespielt hatten. Es hat diese Inhalte auch nicht aus der Schrift entwickelt, sondern sie aus der Gegenwartskultur importiert und inhaltlich ins Gegenteil gekehrt. Das wird dann zum nicht verhandelbaren Kernbestand des Glaubens erhoben, so dass der Widerspruch gegen diese dogmatische Neuschöpfung zum Bruch mit Gott selbst führt.

Also, wenn das kein Paradebeispiel für Synkretismus ist…

Die spannende Frage wird nun sein, ob und wie dieser Aufruf zum Kulturkampf in der evangelikalen Welt rezipiert wird. Ein paar progressive Stimmen haben schon Gegenerklärungen veröffentlicht. Das ist keine große Überraschung. Aber in Anbetracht dessen, wie fragwürdig hier aktiv Bekenntnisbildung betrieben wird, müsste der Widerspruch eigentlich noch viel breiter und energischer ausfallen, als es in den ersten Tagen nach dem Erscheinen der Artikel geschehen ist. Einfach nur schweigen ist eigentlich keine akzeptable Option.

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Wie Glaubenstreue zum ethischen Problem werden kann

Auf dem Greenbelt-Festival hat der geschätzte Theologe und Liederdichter John Bell sich letzte Woche öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt. Er verband dies mit der Erinnerung an Lizzie Lowe, die sich 2014 aus Angst und Scham das Leben genommen hatte. In den USA dagegen erschien das „Nashville Statement“ mit alten und neuen Verurteilungen.

Die beiden Beispiele zeigen, dass die Ressentiments und Verurteilungen, die Lizzie in die Verzweiflung getrieben haben, auch knapp drei Jahre später noch wirksam sind. Ich hatte kürzlich Kontakt zu einer Person, die ich lange aus den Augen verloren hatte. Ihr Coming Out vor einigen Jahren hatte zur Folge, dass sich viele Freunde und Weggefährten sang- und klanglos zurückzogen – als hätte es nie eine Beziehung gegeben, als wäre rückwirkend alles wertlos, was zuvor noch als verbindend erlebt worden war. Zum Glück reagierten so nicht alle, und zum Glück fand sich auch eine Gemeinde, die Homosexuelle nicht für unberührbar hält.

Aber was für ein schwerer Weg!

Ich habe mich ja über die Jahre auch immer wieder an dieser Diskussion beteiligt. Manches davon ist mir wieder durch den Kopf gegangen, als ich in den letzten Wochen den Grundkurs Ethik von Fischer, Gruden, Imhof und Strub (Zürich/Bern) las. Allzu oft, scheint mir, führt allein schon die formale Herangehensweise an die ethische Urteilsbildung dazu, dass sich nichts bewegen kann.

In dieser Herangehensweise hat sich für mein Empfinden oft sehr klar widergespiegelt, dass die eigentliche Fragestellung gar nicht die eines guten und verantwortlichen Umgangs mit Mitmenschen war, die eine andere sexuelle Orientierung haben, sondern die nach der eigenen Bibel- und Glaubenstreue. Deswegen treffen die Verurteilungen ja nicht nur eine bestimmte Praxis, die in den Kirchen bisher unüblich oder unterdrückt war, sondern auch alle, die eine andere Haltung dazu einnehmen.

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Wenn man sich der eigenen Glaubenstreue vergewissern möchte, dann wird man in der Regel defensiv verfahren und den konservativen oder traditionalistischen Lösungsweg beschreiten: Da stellt sich zuerst die Frage nach der Norm, an der Glaubenstreue bemessen wird, nämlich Schrift und Bekenntnis bzw. in der römischen Kirche das kirchliche Lehramt und die Traditionen. In beiden Fällen geht es um normative Aussagen in Form von Texten. Texte, die möglicherweise als historisch entstanden gelten dürfen, deren zeitlose, allgemeine Verbindlichkeit aber zugleich auch immer schon vorausgesetzt wird. Was damals wahr und richtig war, kann heute nicht falsch sein (im Gegensatz dazu lässt sich durchaus sagen, was damals angemessen war, ist es heute nicht automatisch auch).

Nun sind dieselben Christen, die so defensiv argumentieren, durchaus in der Lage, an anderer Stelle situativ oder konsequentialistisch zu entscheiden und mit Normen flexibel umzugehen (oder nicht jede deskriptive Aussage der Schrift/Tradition gleich als deont(olog)ische Norm zu interpretieren). Auch wenn das Stichwort „Situationsethik“ meist verpönt ist, weil man irrtümlich unterstellt, damit ließe sich alles Mögliche zurechtbiegen. Diese Entscheidungsspielräume tun sich just in dem Moment auf, wo man sich nicht gleichzeitig auch noch der eigenen Glaubenstreue vergewissern muss. Beim Thema „Reichtum“ ist das zum Beispiel oft der Fall. Das gilt im konservativen Christentum tendenziell als Adiaphoron.

Also liefern die Exegeten einen biblischen „Befund“. Der fällt unweigerlich so aus, dass „Homosexualität“ (ein neuzeitlicher Begriff, der in der Bibel so nicht vorkommt) negativ konnotiert ist: Da, wo etwas erwähnt wird, was sexueller Aktivität unter Personen gleichen Geschlechts zugeordnet werden kann, sind ablehnende moralische Urteile anzutreffen. Diesen historischen Befund reicht man weiter an die systematischen Theologen, die im Grunde nur noch darüber diskutieren dürfen, wie freundlich oder schroff, mit wieviel verständnisvollem Bedauern und wieviel „prophetischer“ Schärfe man diese Norm nach außen und innen kommuniziert. Der Rest bleibt dann den Seelsorger*innen überlassen. Die sind nicht zu beneiden um diese Aufgabe.

Mir scheint, hier trifft zu, was Fischer & Co so formulieren: „Diese Debatte ist ein Beispiel dafür, dass die eigentliche Problematik vieler moralischer Fragen in der adäquaten Beschreibung steckt und nicht so sehr in der Begründung.“

Fast in jedem mir bekannten Fall, wo Christen ein solches Urteil zu revidieren in der Lage waren, kam eine persönliche Betroffenheit dazu, die die Frage nach der Glaubenstreue in den Schatten gestellt hat: Ein Familienmitglied, eine gute Freundin oder jemand, dessen Ernsthaftigkeit im Glauben ich nicht anzweifeln kann, ist von einem Ausschluss aus der Gemeinschaft betroffen. Der Schmerz darüber wiegt schwerer als die Sorge um den eigenen Status. Oder anders formuliert: Das ablehnende Urteil gegen jemanden, mit dem ich mich identifiziere, trifft auch mich. Ich denke jetzt mit ihm von einem anderen Ort her, von „draußen“. Das bisherige, konventionelle Urteil wird ausgesetzt und alles noch einmal neu beschrieben, durchdacht und abgewogen. Moralische Intuitionen kommen ins Spiel. Dreh- und Angelpunkt der Überlegung ist nicht mehr die kodifizierte Glaubensüberlieferung und die Frage nach der Richtigkeit, sondern die geliebte und geschätzte Person und deren Wohlergehen. Neue Sichtweisen auf biblische und kirchliche Aussagen werden möglich. Meistens erwachsen sie aus einer neuen Praxis, die sich in dieser Zwischenphase herausbildet, in der das Urteil ausgesetzt ist.

Fischer & Co nehmen in ihrem Grundkurs auf Luthers Freiheitstraktat Bezug. Dort ist es der Glaube, das Sich-Bestimmenlassen durch Christus, der den Menschen in seinem Verhältnis zu Gott von allem Rechtfertigungsdruck befreit. Der so befreite Christenmensch kann nun eben diese Freiheit nutzen, um selbstvergessen zu fragen, was für die/den Nächste(n) gut ist und wie man ihm/ihr gerecht wird.

Was die anderen, die sich mit Richtigkeiten beschäftigen, dazu sagen, ist dann egal.

Deswegen sind Menschen wie John Bell und die Zeichen, die sie setzen, so wichtig. Wir brauchen sie in den Kirchen und Gemeinden. Sie machen es auf die Dauer unmöglich, die Fragen unterschiedlicher sexueller Orientierung als etwas zu behandeln, das es nur irgendwo da draußen gibt, und es als Thema für interne Rechtgläubigkeitsdiskurse zu missbrauchen. Ich wünsche und hoffe, dass junge Christen bald genug solche Freunde und Bekannte haben, dass sie das alte Spiel nicht mehr mitspielen.

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