Missverständliches Mitgefühl

In einem Gespräch neulich berichtete jemand von einer Auseinandersetzung und machte seiner Empörung Luft über die Ungerechtigkeit, die ihm dabei widerfahren war. Eine andere Person aus der Gruppe antwortete zustimmend auf seine Äußerung. Ich kannte die andere Seite dieses offenkundig schmerzhaften Konfliktes nicht, daher war ich erst einmal recht zurückhaltend.

Als ich die zweite Person später wieder traf, sagte ich, dass ich über ihre emphatische Zustimmung verwundert war. Und ich entdeckte, dass die Zustimmung nicht dem Urteil des Betroffenen über die Sachlage und die Kontrahenten gegolten hatte, sondern als Ausdruck von Mitempfinden und als Ermutigung gemeint waren, sich nicht von den Sorgen überwältigen zu lassen. Das Problem war nur, dass man den Wortlaut dieses Zuspruchs auch so hätte verstehen können, dass die eine Konfliktpartei recht hat und die andere im Unrecht ist.

Mag sein, dass das sogar zutrifft – ich weiß das nur nicht und kann es auch nicht so leicht herausfinden.

Nachdenklich hat mich das Erlebnis deshalb gemacht, weil ich fürchte, mir und anderen ist es auch schon so ergangen. Wir regen uns über etwas auf, unsere Freunde bekommen das mit und wollen uns aufmuntern. Wir fühlen und dann in unserem gerechten Zorn bestätigt und denken, dass wir einen Verbündeten gefunden haben, der unsere Position teilt und unterstützt. Denn wenn wir unter Druck stehen, dann wollen wir solche Dinge ja auch hören. Vielleicht werden wir dadurch mutiger (oder rücksichtsloser) und versuchen mit aller Macht, uns durchzusetzen.

Das kann ins Auge gehen.

Vielleicht steckt ein ähnliches Muster auch in den Verweisen auf angeblich schweigende Mehrheiten in manchen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Es könnte ja sein, dass auch da jemand das Mitgefühl anderer irrtümlich als inhaltliche Zustimmung zu seiner Position interpretiert. All das macht Konfliktlösungen nicht einfacher.

Share