2014: Sieben Stichworte

Ein schwerer Abschied – damit muss ich anfangen. Den letzten Jahreswechsel haben wir bei Udo gefeiert. Es war ein fröhlicher Abend voller guter Gespräche. Ein halbes Jahr später standen wir mit vielen anderen erschüttert an seinem Grab. Diese Lücke ist unglaublich präsent, zumal an einem Tag wie heute. Und meine Gedanken sind bei seiner Familie.

Ein anstrengender Umzug – Nach elf Jahren im Gemeindehaus am Bohlenplatz hat das nomadische Gen sich wieder durchgesetzt und wir sind als Gemeinde weitergezogen. Mobil zu bleiben strengt an, doch es tut auch gut. Es gab viel Krempel auszumisten, aber irgendwann war dann alles verräumt. Neue Abläufe spielen sich allmählich ein. Und nun gibt es neues Terrain zu erkunden. Darauf freue ich mich im neuen Jahr.

Eine neue Erfahrung Die Straßenexerzitien bei Andreas Ebert in München unter der Anleitung von Christian Herwartz waren eine wunderbare Zeit der Vertiefung, Klärung und Gottesbegegnung in einer ungewohnten Form. An dieser Sache möchte ich dran bleiben. Mein Freund HaSo nennt so etwas urbane Spiritualität.

Ein ermutigender Einblick – Zweimal war ich 2014 zu Gast bei der Pfingstbewegung: Zu einem großen Treffen der Volksmission in Schorndorf und mit Pastoren der Foursquare-Gemeinden in Bern. Beide Male bin ich ausgesprochen herzlichen und gastfreundlichen Menschen begegnet, die aus einer hierzulande weithin unterschätzen Tradition kommen und sich viele gute Gedanken machen, wie dieses Erbe für das 21. Jahrhundert fruchtbar werden kann. Ein Gewinn für die Ökumene, findet Papst Franziskus. Und der muss es wissen.

Ein charmanter BesucherLandesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat uns besucht und damit just in dem Moment, als wir in keinen kirchlichen Räumen mehr zu Gast waren, ein Zeichen der Gemeinsamkeit gesetzt. Wenige Wochen später wurde er dann zum Ratsvorsitzenden der EKD gewählt. Für mich der richtige Mann am richtigen Ort.

Ein gelungenes Projekt – Emergent Deutschland ist ein quicklebendiges Netzwerk von Querdenkern und Originalen. Das haben wir bei Con:Fusion 2014 lebhaft gespürt.

Eine prägende Pilgerreise – In diesem Jahr hat es endlich geklappt, die Iona Community näher kennenzulernen. Was für ein Reichtum an engagierter Spiritualität und liturgischer Innovation, in der vieles zusammenfindet, was andernorts noch als Gegensatz gilt oder gar nicht im Blick zu sein scheint.

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Visueller Jahresrückblick

Statt eines langen Textes habe ich mich wieder entschlossen, zwölf Bilder für dieses Jahr sprechen zu lassen. Eins aus jedem Monat, die Auswahl war nicht immer gleich reichhaltig, aber so ist das ja auch mit dem richtigen Leben.

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Januar: Der Aegerisee, wo ein ThinkTank des IGW stattfand

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Baiersdorf Ende Februar, der Winter verabschiedet sich

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Die Orangerie am 1. März

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Kalchreuth – der Klassiker im April

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Ende Mai zwischen Berching und Hilpoltstein

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Lange Schatten im Juni

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Im Juli eine Mittagspause in Augsburg

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August (oben) und September (unten) auf Iona und Skye

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Oktober ein Besuch in Heidelberg

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November im Westen von Erlangen und ein letztes Funkeln im Dezember

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Sprachlicher Schweinebraten

Wenn man heute mit einer großen Gruppe irgendwo hinfährt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass irgendwer kein Gluten verträgt, jemand anders keine Laktose oder Fructose, dass manche vegetarische und vegane Ernährung bevorzugen. Manchmal gibt es eine klare medizinische Indikation, manchmal ist es eine Ahnung oder Vermutung, der Menschen folgen, manches lassen sie sich vielleicht auch bloß einreden, und manches mag eine Laune sein, die mal besser, mal schlechter begründet ist.

Aber weil wir gemeinsam etwas erleben oder besprechen wollen, debattieren wir nicht mehr über Sinn und Unsinn der unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten, sondern gehen pragmatisch damit um. Vielleicht auch, weil wir wissen, wie ethisch und gesundheitlich fragwürdig das Essen inzwischen ist, das für die meisten noch „normal“ im Sinne von „gewohnt“ und „üblich“ ist. Jeder bekommt, was er braucht – oder, in den Augen der Skeptiker: was er vielleicht auch nur zu brauchen meint. Am Ende kann und muss das jeder selbst beurteilen. Für das Küchenpersonal und die Verwaltung von Hotels und Tagungshäusern ist es zweifellos ein größerer Aufwand, dessen Kosten alle gemeinsam tragen, aber wir haben uns daran gewöhnt. Jeder kennt inzwischen Leute, die besondere Wünsche oder Bedürfnisse haben. Wozu sollten wir sie ausgrenzen oder benachteiligen? Es wäre ein ebenso schmerzhafter wie unnötiger Verlust.

Das ist ein schönes Beispiel für einen weithin funktionierenden Pluralismus. Er funktioniert sogar in Gruppen, in denen der Begriff „Pluralismus“ sonst eher Pickel verursacht.

Vielleicht kann die erfolgreich gelernte Lektion ja als Modell dienen, das sich auf andere Bereiche übertragen lässt. Kürzlich postete ein Facebookfreund ein Foto von Charlton Heston mit dem Zitat, Politische Korrektheit sei eine Diktatur mit Manieren. Sarrazins „Tugendterror“ lässt grüßen. Heston hat unter anderem mal in einem Bibelfilm mitgespielt und ist ein erklärter Waffenfreak, für ihn besteht da offenbar kein Widerspruch. Vor allem aber ist er weiß, männlich und schon recht alt. Vermutlich tut er sich schwer damit, dass plötzlich alle möglichen Minderheiten mitreden wollen und manche gewohnten Rede- und Denkweisen der alten Eliten nachdrücklich in Frage stellen. Die Welt war für seinesgleichen damals eben noch heiler und das Leben einfacher, als man noch bedenkenlos „Neger“ sagen durfte – man selbst war ja keiner. Zeitlich mag das stimmen oder auch nicht mit dem einfacheren, besseren Leben, ursächlich haben unsere Probleme heute aber rein gar nichts damit zu tun, dass wir sensibler mit Menschen umgehen, die anders sind als wir.

Freilich kann man(n) sich nun darüber empören, dass manchen Leuten Omis traditionell gewürzter sprachlicher Schweinebraten nicht mehr gut genug ist und sie die begriffliche Speisekarte ändern wollen, aber davon werden die Unterschiede nicht weggehen und die Spannungen nicht aufhören – im Gegenteil.

Man muss nicht jede Unverträglichkeit teilen, nicht jede Präferenz anderer gut finden und jede einzelne sprachliche Innovation für einen Gewinn halten. Gelassenheit und Großmut reichen einstweilen aus: Solange mir die unterschiedlichen Menschen etwas bedeuten und ich sie dabei haben möchte – in der Kirche, als Freunde und Nachbarn, Seite an Seite im Ringen um gute politische Lösungen für unsere Probleme – kann ich nicht nur den Speiseplan, sondern auch meine Worte mit Bedacht wählen und mich bemühen zu verstehen, warum andere dieses oder jenes so schwer verdaulich finden.

Vielleicht kommt unterdessen manche(r) ja doch noch auf den Geschmack.

 

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Pilger, Künstler, Aktivisten

Die Gnadenlosigkeit vieler Mitchristen und ganzer Strömungen im nordamerikanischen Christentum beklagt gegenwärtig Philip Yancey im lesenswerten Interview mit Hauke Burgarth. Das an sich ist gewiss keine völlig neue Erkenntnis. Aber Yancey bleibt auch nicht stehen bei der Analyse, sondern er nennt drei vorbildliche Typen des Glaubens in postchristlicher Zeit, die nicht durch verurteilendes Moralisieren und sturen Dogmatismus auffallen, oder anders gesagt: Denen es gelingt, in der Welt zu sein ohne „von der Welt“ zu sein:

Aktivisten handeln mit Taten von Barmherzigkeit. Damit erreichen sie die Herzen von Menschen. Diese öffnen sich für ihre Botschaft. Und irgendwann wollen diese Menschen wissen, warum sie das tun.

Künstler sind auch effektiv darin. Kunst schleicht sich unterbewusst ein. Historisch gesehen war die Kirche immer ein grosser Kunstförderer, heute trifft dies auf manche Gemeinden zu, auf andere kaum. Künstler ordnen sich nicht leicht ein, aber sie sind sehr gut darin, das Evangelium einer Gesellschaft zu sagen, die es eigentlich ablehnt.

Die letzte Gruppe sind die Pilger. Wir können sagen: «Hallo, wir sind genauso unterwegs wie du, aber wir wissen etwas vom Ziel, so und so hat uns das im Leben geholfen», statt klarzustellen: «Wir sind drinnen, ihr seid draussen. Ihr seid schlecht. Und ihr geht dafür in die Hölle.»

Beim Lesen spürte ich sofort, wie sehr sich das mit meinen Erfahrungen und Empfindungen deckt. In der Umgebung solcher Christen fühle ich mich wohl, während andere Typen und die Kultur, die sie prägen, auf mich viel weniger positiv wirken.

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Freundlich bedrängt

23. Dezember – (vor)letzte Einkäufe stehen an, ich schwinge mich aufs Rad Richtung Innenstadt. Auf dem Weg überquere ich eine dicht befahrene Straße und ein Wagen, der eigentlich noch weit genug entfernt ist, um sich nicht behindert zu fühlen, hupt. Es ist ein unangenehm „krächzender“ Hupton. Ich bin nicht sicher, ob ich gemeint bin, also biege ich ab und radle weiter.

Obwohl in dieser Straße nur 30 erlaubt sind und ich nur knapp drunter liege, kommt der Huper von eben hinter mir schnell näher. Viel schneller, als er dürfte. Und tatsächlich, er hupt mich schon wieder an! Zum Überholen ist kein Platz. Ich drehe mich um und mache eine … abweisende Geste.

Der Fahrer hat sein Fenster heruntergelassen und ruft mir zu, ich habe einen Handschuh verloren. Ich entschuldige mich reichlich überrumpelt für meine ungehaltene Reaktion, er lächelt mich an und meint, damit habe er schon gerechnet. Ich bedanke mich, drehe um und sammle den verlorenen Handschuh auf.

Angehupt zu werden kann also viele Gründe haben. Anderen erst mal die besten Motive zu unterstellen, schadet da nicht.

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Die Angst vor der „orientalischen Despotie“

Für meine Weihnachtspredigt habe ich mich in den vergangenen Tagen durch zahlreiche Lebensbeschreibungen des Kaisers Augustus gefressen, die zu seinem zweitausendsten Todestag dieses Jahr erschienen sind. Besonders interessant fand ich einen kleinen Absatz aus dieser Schilderung von Maria Dettenhofer, die für die Zeit den Aufstieg des Octavius zu Gottkaiser erklärt.

Um seinen Rivalen um die Alleinherrschaft im Reich, M. Antonius, loszuwerden, verbreitet er in Rom das Gerücht, dieser wolle im Falle eines Sieges die Hauptstadt nach Alexandria verlegen. Den Machtkampf im Inneren durch die Beschwörung einer Bedrohung durch Fremde aus dem Osten anzufeuern, das hat ja derzeit leider auch bei uns Hochkonjunktur. Dettenhofer führt aus:

Die „orientalische Despotie“ ist das zentrale Schlagwort in seiner Propaganda. Damit gelingt es ihm, den Krieg gegen Antonius, der für das kommende Jahr erneut als Konsul vorgesehen ist, als Krieg gegen Kleopatra, also einen äußeren Feind, darzustellen

Die Bürger bekamen keinen orientalischen, sondern einen abendländischen Despoten. In Perugia, das dem Antonius nahe stand, ließ er nach seinem Sieg 300 Einwohner zu Ehren seines Adoptivvaters Cäsar auf einem Altar abschlachten.

So aktuell kann die Bibel sein: Das Weihnachtsevangelium sieht die Heilsbringer Jesus und Augustus in einem scharfen Gegensatz. Der christliche Umgang mit Macht und dem Fremden ist dem des Imperiums diametral entgegengesetzt. Gut, dass uns das bevorstehende Fest so unmissverständlich daran erinnert.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass zwischen Braten und Besinnlichkeit, Lebkuchen und Lichterglanz dafür noch genug Raum zur fundamentalen Beunruhigung bleibt.

 

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Theologie mit Hirnschaden?

Ab und zu ist mir im zu Ende gehenden Jahr ein irritierendes Phänomen begegnet. Ich habe ja nun wirklich nichts gegen das Denken, aber manchmal verblüfft es mich schon, wie manche ihre theologischen Urteile gerade deshalb für besonders objektiv und sachlich halten, weil sie konkrete Personen und Lebensschicksale dabei offenbar schroff ausblenden können. Richard Beck hat das in einem seiner Posts ganz treffend auf den Punkt gebracht:

Orthodoxe Alexithymie („Gefühlsblindheit“) entsteht, wenn die intellektuellen Facetten christlicher Theologie um des korrekten und rechten Glaubens willen vom Gefühl, der Empathie und der Verbundenheit entkoppelt werden. Rechtgläubige Alexithymiker sind wie Patienten mit einem Hirnschaden am ventromedialen Präfrontalkortex. Ihre Gedankengänge können ausgeklügelt und in sich stimmig sein, aber sie sind losgelöst vom menschlicher Emotion. Und ohne dass christusförmige Einfühlsamkeit die Kette der Berechnungen leitet, landen wir bei der theologischen Entsprechung dazu, uns lieber am dogmatischen Finger zu kratzen als die Zerstörung der ganzen Welt zu verhindern. Logisch und lehrmäßig lassen sich solche Präferenzen rechtfertigen. Sie sind nicht „wider die Vernunft“. Aber sie sind unmenschlich und monströs. Emotion fehlt, nicht der Verstand.

… Zu ihrer Rechtfertigung werden rechtgläubige Alexithymiker die Sichtweise der Griechen hervorheben: Der Verstand muss die Leidenschaften zähmen. Wir können Gottes Willen nicht erkennen, wenn wir zulassen, dass Gefühle ins Spiel kommen. Gefühle sind Versuchungen. Daher müssen wir unserer Gefühle dem Verstand unterwerfen. Der Verstand führt dich zu Gott. Also lass die Gefühle beiseite. Wenn eine theologische Argumentationskette anfängt, dich zu erschrecken, dann musst du diese Gefühle unterdrücken.

Gestern hat Papst Franziskus seiner Kurie die Leviten gelesen und dabei 15 Krankheiten aufgezählt. Unter Punkt 3 redet er von „Abstumpfung“. Das ist vielleicht nicht ganz dasselbe wie Alexithymie, aber es kommt nahe hin. Umgekehrt spricht der Engel zu den Hirten von Gottes Wohlgefallen. Der betrifft sicher nicht die allgemeinen Zustände auf Erden, aber seine grundsätzliche Einstellung Menschen gegenüber und ganz besonders gegenüber Menschen mit Brüchen in der Biografie. Wohlgefallen ist kein moralisches Urteil, sondern Gottes Form von Empathie. Eine Empathie, das muss man gegenüber der Perversion von Weihnachtsliedern durch Pegida-Anhänger betonen, die gerade nicht nur dem gilt, der kulturell und ethnisch als „Gleicher“ wahrgenommen wird.

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Vorra: Mehr Licht als Schatten

Vorra ist ein pittoresker kleiner Ort im Pegnitztal. Im Sommer machen Wanderer, Kletterer, Rad- und Kanufahrer dort Rast. Um die Dorfkirche stehen ein paar Läden und Wirtshäuser. Eins davon stand leer, dort sollten demnächst Flüchtlinge untergebracht werden. Es wurde letzte Woche angezündet, zusammen mit zwei weiteren Gebäuden im Ort, alle sind schwer beschädigt. Hakenkreuz-Schmierereien deuten auf rechtsextreme Täter hin, die Polizei ermittelt, noch ohne Ergebnis.

Gestern sammelten sich einige hundert Menschen am Bahnhof von Vorra, viele aus dem Ort und dem Umland: Ältere Menschen, Familien mit Kindern. Am Straßenrand parkt der Dienstwagen von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm neben dem Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks. Überall im Ort stehen Einsatzfahrzeuge der Polizei. Um 17:00 kommt die total überfüllte Regionalbahn aus Nürnberg an und Schwall überwiegend junger Antifa-Aktivisten quillt aus der Unterführung, mit Transparenten und Flugblättern ausgerüstet. Ab und zu skandieren Grüppchen kernige Parolen.

Eine Erklärung wurde vorgelesen, der Zug setzte sich in Bewegung Richtung Dorfkern; die einen schwiegen, die anderen riefen Sprüche und schwenkten Fahnen und Plakate. Neben mir lief eine Frau, die zu dem stattlichen Helferkreis gehörte, den der evangelische Pfarrer für die zu erwartenden Flüchtlinge ins Leben gerufen hatte. Wir kamen ein bisschen ins Gespräch über die gute Entwicklung und das jähe Entsetzen am Freitag, als das friedliche Vorra solch traurige Berühmtheit erlangte. Dass ich aus Erlangen gekommen bin, erstaunt sie. Ich dagegen finde, es hätten ruhig noch mehr Erlanger kommen können.

Der Zug steht vor dem Gasthof. In der Dunkelheit sieht man kaum Spuren des Feuers. Aber man ahnt, in welcher Gefahr sich auch die Anwohner im eng bebauten Dorfkern befanden. Wir hören noch eine Rede, spontaner Beifall kommt eher zu den Passagen auf, die weniger Antifa-Jargon enthalten. Ein paar versöhnliche Worte an alle, die heute den Schweigemarsch bevorzugt hätten. Dann dreht der Zug um und geht Richtung Bahnhof. Ich verabschiede mich von meiner Gesprächspartnerin. Für mich hat Vorra nun ein sympathisches Gesicht und sie weiß hoffentlich, dass wir die Bürger von Vorra nicht für Rassisten halten. Irgendwann, sagte sie, sind die Häuser fertig und alle Schäden behoben. Dann wird es wohl immer noch Bedarf an Wohnraum für Flüchtlinge geben.

Als ich mit diesem Lichtblick im Herzen zurück durch die dunkle Hersbrucker Schweiz fahre, höre ich im Radio: In Nürnberg hielt derweil die CSU ihren Parteitag ab. Also jene Partei, die wie keine andere im Bundes- und Landtag in so gut wie jeder Aussage, die sie öffentlich über Flüchtlinge und Zuwanderer macht, Begriffe wie „Belastung“; „Probleme und Risiken“, „Sorgen“, „Missbrauch“ und „Begrenzung“ unterbringt, bevor sie zwischendurch vielleicht auch mal etwas Nettes sagt oder ein Lippenbekenntnis zur Willkommenskultur ablegt. Die Partei, die sich nun, wie ich höre, fürchterlich missverstanden fühlt, weil Grüne und Linke das Offensichtliche aussprechen: Dass nämlich diese Taktik, mit solchen pauschalen Verdächtigungen und fein dosierten Ressentiments gegen Fremde eben jene rechten Wähler an sich zu binden, die ihr derzeit die absolute Mehrheit sichern, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der bürgerlichen Mitte wieder gesellschaftsfähig macht.

Und damit, dass sie Sorgen nicht entkräftet oder widerlegt, sondern unter dem Vorwand des „Ernstnehmens“ gezielt verstärkt, ist die CSU natürlich für die aktuelle Klimaverschlechterung mitverantwortlich, wie auch für deren mittelbare Folgen: Denn wenn in der vermeintlichen „Mitte“ immer öfter gesagt wird „ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, ABER…“, dann bleibt vor allem dieses große „Aber“ im Raum stehen. Und der Nachhall nutzt den Radikalen, die aus der Furcht und dem Ressentiment Hass erzeugen.

Keiner aus der Parteispitze machte sich an diesem Nachmittag auf den kurzen Weg flussaufwärts. Ob das feige war oder taktvoll (die Antifa-Fraktion hätte ein Auftritt von Seehofer, Herrmann oder Söder vermutlich erst so richtig in Fahrt gebracht), ist schwer zu entscheiden. Vielleicht sollte die nächste Demo vor der CSU-Zentrale stattfinden. Andererseits sollte man ihnen keine Chance geben, sich beim Stammtischpublikum als Opfer linker Intoleranz darzustellen.

Wir brauchen noch viel mehr Licht in diesem Land.

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Der Terror und sein Ebenbild

Die Folterpraxis der CIA macht wieder Schlagzeilen, seit der US-Senat diese Woche seinen Bericht veröffentlicht hat. Die Geschichten darin sind einfach nur entsetzlich, wenn man sie nicht völlig ohne Empathie liest. Zum Teil völlig unschuldige Menschen wurden unmenschlich gequält, wie dieser Ausschnitt aus einem Bericht des Spiegel zeigt, ihre Folterknechte hingegen durften sich bis jetzt als gute Patrioten fühlen:

Zubaydah wird nackt in eine komplett weiß gestrichene Zelle gesteckt, ohne Fenster, mit harschem Halogen-Licht rund um die Uhr. Sein Schlaf wird gestört, die Zelle mit lauter Rockmusik beschallt, um ein Gefühl der „erlernten Hilflosigkeit“ zu schaffen. Einem ursprünglichen CIA-Memo zufolge soll er „für den Rest seines Lebens“ in Isolation und ohne Kontakt zur Außenwelt gehalten werden. Zwei CIA-Männer probieren „fast rund um die Uhr“ Foltermethoden an ihm aus: Einsperren in einer Kiste, schmerzhafte Stresspositionen, Schlafentzug, Waterboarding, „Einsatz von Insekten“, „vorgetäuschtes Begräbnis“ – alle von Justizminister John Ashcroft abgesegnet. Die „aggressivste Phase“ beginnt am 4. August 2002 und dauert 20 Tage. Zubaydah wird nackt in eine sargähnliche Kiste gesperrt und dann dem Waterboarding unterzogen, bis er sich erbricht und unkontrolliert zu zucken beginnt.

Dabei hatte sich der Gefangene zuvor sogar kooperativ verhalten. Insgesamt stellt der Bericht des Senats auch noch fest, dass die Folter praktisch keine brauchbaren Informationen für die Bekämpfung des Terrors erbrachte.

George W. Bush hat schon im Vorfeld beteuert, das sei alles alternativlos und ehrenvoll gewesen, Dick Cheney poltert nachträglich. Vielleicht liegt es nur daran, dass ich neulich Das Zeugenhaus gesehen habe, aber die Sprüche der beiden ähneln denen früherer Kriegsverbrecher. Und den Islamisten haben sie damit nun auf Jahrzehnte hinaus Stoff geliefert, um deren Gewalt und Terror zu rechtfertigen. Dafür gehören die Verantwortlichen vor Gericht, aber so weit wird es wohl nicht kommen. Mit Charles Dickens könnte man eher hoffen, dass diesen Scrooges der Geist von Guantanamo so lange den Schlaf raubt, bis sie ihren Selbstbetrug aufgeben. Aber auch das ist eine eher romantische Vorstellung.

Ich habe immer wieder Walter Wink zitiert, und die folgenden Sätze aus „Verwandlung der Mächte“ kommentieren dieses skandalöse Kapitel vielleicht am besten:

„Die Wirklichkeit, ob materiell oder geistig, ist scheinbar so konstruiert, dass jeder Aktion eine gleich starke Gegenreaktion folgt. So kann jeder Versuch, das Herrschaftssystem durch die Methoden der Herrschaft zu bekämpfen, nur zu neuer Herrschaft führen. Wenn wir dem Bösen mit Bösem widerstehen, wenn wir in gleicher Weise dagegen angehen, garantieren wir einfach seinen Fortbestand, wir werden selbst in sein Ebenbild verwandelt.“

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Der nächste Schritt

Mut gibt es gar nicht. Sobald man überlegt, wo man ist, ist man schon an einem bestimmten Punkt. Man muss nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man überhaupt nicht tun. Wer behauptet, er wisse den übernächsten Schritt, lügt. So einem ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu begegnen. Aber wer den nächsten Schritt nicht tut, obwohl er sieht, dass er ihn tun könnte, tun müsste, der ist feig. Der nächste Schritt ist nämlich immer fällig. Der nächste Schritt ist nämlich nie ein großes Problem. Man weiß ihn genau.
Eine andere Sache ist, dass er gefährlich werden kann. Nicht sehr gefährlich. Aber ein bisschen gefährlich kann auch der fällige nächste Schritt werden. Aber wenn du ihn tust, wirst du dadurch, dass du erlebst, wie du ihn dir zugetraut hast, auch Mut gewinnen.
Während du ihn tust, brichst du nicht zusammen, sondern fühlst dich gestärkt. Gerade das Erlebnis, dass du einen Schritt tust, den du dir nicht zugetraut hast, gibt dir ein Gefühl von Stärke. Es gibt nicht nur die Gefahr, dass du zu viel riskierst, es gibt auch die Gefahr, dass du zu wenig riskierst.
Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.

Martin Walser, gefunden in einer älteren Ausgabe des Anderen Advent

 

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Wenn geistreich sein nicht mehr reicht…

Madeleine Delbrêl lebt in der Spannung zwischen Kirche und Gesellschaft, die (nicht nur) damals von beiden Seiten bedroht war. Die Kirche zog sich in sich selbst zurück vor einer immer gleichgültigeren Welt, die von ihr nichts mehr erwartete. Man muss das wissen, um die folgenden Sätze nicht misszuverstehen.

Einzig in der Kirche und durch sie ist das Evangelium Geist und Leben. Außerhalb ist es nur noch geistreich, nicht mehr Heiliger Geist.

Die Evangelisierung der Welt, ihr Heil ist die eigentliche Berufung der Kirche. Sie ist unaufhörlich auf die Welt hin ausgespannt, strebt zu ihr hin wie die Flamme zum Stroh. Aber diese Spannung wäre eine Überforderung für jemanden, der nichts weiter als er oder sie selbst sein wollte.

Je kirchenloser die Welt ist, in die man hineingeht, desto mehr muss man Kirche sein. In ihr liegt die Mission – durch uns muss sie hindurchgehen.

(Deine Augen in unseren Augen, 214.)

Das wäre durchaus eine Kirche, von der auch heute viele träumen: Eine Gemeinschaft von Menschen, in der sich das Evangelium verkörpert und deren Identität nicht in der strikten Abschottung besteht, sondern die sich fordern, dehnen und verändern lässt, die in ihrem Hineingehen in die Welt auch über sich selbst hinauswächst.

Reduziert man das Evangelium auf eine körperlose Idee, und versucht man aus dieser Idee Kapital zu schlagen für andere Zwecke (Bildung, Wellness, bürgerliche Moral etc.), dann ist es nur noch geistreich. Nicht wertlos, aber weit unter Wert verkauft.

 

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Unerhört beten

Man macht sich die Sache mit dem Beten zu leicht, meint Walter Wink, wenn man meint, Gebete würden entweder nicht erhört, weil mit einem selbst etwas nicht stimmt (falscher Inhalt, falsche Motivation, falscher Zeitpunkt, andere Unzulänglichkeiten), oder weil Gott eben gerade nicht wollte.

In Wirklichkeit verweist uns die Frage, ob das eintrifft, worum wir bitten (und da geht es um Gerechtigkeit und Frieden, nicht um einen freien Parkplatz in der vorweihnachtlichen Innenstadt), auf ein viel komplexeres Feld von Kräften und Interessen. Das beschreibt das Buch Daniel in mythischen Bildern. „Mythisch“ bedeutet hier nicht etwa einfältig, sondern dass unsichtbare überindividuelle Wirklichkeiten („Mächte“) hier wie sichtbare, nichtmenschliche Akteure erscheinen – und sich aktiv einmischen.

In Daniel 10 fastet und betet der Gerechte für sein verschlepptes Volk, bis nach 21 Tagen ein Engel bei ihm auftaucht. Der Engel erklärt Daniel, dass er schon am ersten Tag aufgebrochen ist. Allerdings wurde er vom Engel des Perserreiches aufgehalten und konnte erst nach einer Intervention des Engelfürsten Michael (Israels „Völkerengel“) sein Ziel erreichen.

So wie Daniel in dieser Geschichte nicht wissen und sehen kann, was sich im Verborgenen tut, so wenig durchschauen auch wir politische und gesellschaftliche Prozesse um uns herum, und noch weniger, wie sich unser Handeln und Gebet auf sie auswirkt. Was keineswegs bedeutet, dass es egal wäre. Wink fragt:

Was besagt das nun über die Allmacht Gottes? Über Gottes Erlösungsmacht? Über Gottes Macht in der Geschichte? Den Mächten und Gewalten gelingt es, ihren Willen gegen den Willen Gottes durchzusetzen und sich eine zeitlang zu behaupten. Das Erstaunliche ist also nicht, dass unsere Gebete manchmal unerhört bleiben, sondern dass einige überhaupt erhört werden. Es ist uns schon lange klar, dass Gott durch unsere Freiheit eingeschränkt wird. Die neue Einsicht im Buch Daniel ist, dass Gott durch die Freiheit von Institutionen und Systemen ebenso begrenzt wird. (Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014, 159)

[…] Ein Gebet, das die herrschenden Mächte ignoriert, endet damit, Gott die Schuld an dem von den Mächten verursachten Unheil zu geben. Aber ein Gebet in Anerkennung der Mächte wird zu einem unverzichtbaren Aspekt gesellschaftlichen Handelns. (Ebd., 163)

In ihren Tagebüchern der Jahre 1941-43 hat die Niederländerin Etty Hillesum diese Vorstellung einer zumindest zeitweise eingeschränkten Souveränität Gottes unter dem Eindruck des Naziterrors in die folgenden dramatischen Sätze gefasst:

Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.

Wenn Christen nun darum beten, dass Gottes Reich kommt und Gottes Wille geschieht, dann ist damit ja immer schon vorausgesetzt, dass in unserer Gesellschaft und auf dieser Erde nicht immer schon automatisch das geschieht, was Gott will, sondern oft genug das krasse Gegenteil. Und das heißt: Gottes Allmacht und Souveränität sind in irgendeiner Form eingeschränkt. Wink lässt sich auf keine lange Theoriediskussion (die auch in der Bibel nicht geführt wird) ein, sondern er schreibt:

Gott mag vielleicht außerstande sein, direkt zu intervenieren, und überschüttet dennoch die Erde mit „zufälligen“ Möglichkeiten, die nur die Bereitschaft eines Menschen brauchen, um zu wundern zu werden. Wenn das Wunder geschieht, haben wir den Eindruck, Gott habe auf besondere Weise interveniert. Doch interveniert Gott nicht nur gelegentlich. Gott ist die ständige Möglichkeit der Verwandlung, die jeder Gelegenheit anhaftet, auch solchen, die wegen der ausbleibenden Bereitschaft eines Menschen verloren gehen. (Verwandlung, 161)

Die richtige Reaktion auf ein Ausbleiben der Erhörung (und wieder, es geht hier nicht um fragwürdige Anliegen, sondern um weithin unstrittige: Frieden in Syrien, ein Ende von Hunger, Rassismus und Terror, u.v.a.) ist nicht das nonchalante Schulterzucken (das resignative „hat nicht sollen sein“ wäre in diesen Fällen bloß noch zynisch zu verstehen), sondern das Dranbleiben, bis die Sache „durch“ ist. Nur einen Tag länger auf Gerechtigkeit warten zu müssen, wäre zu lang, schreibt Wink. Wenn sie dann geschieht – und sei es nach Jahrzehnten! – ist das nichts weniger als ein ausgewachsenes Wunder.

Beten wird, eingebettet in dieses unablässige Ringen, von einer Angelegenheit des Kopfes (bei der um Korrektheit geht) zu einer Aktivität, die „aus dem Bauch heraus“ geschieht:

Wir werden energischer und aggressiver. Wir werden Gott ehren, indem wir die volle Bandbreite unserer Gefühle zulassen, von Frustration und Empörung bis zur Freude und alles, was dazwischen liegt. wir werden erkennen, dass auch Gott umzingelt ist von Kräften, die sich nicht einfach beherrschen lassen. Wir werden wissen, dass Gott am Ende siegen wird, wenn auch nicht unbedingt auf eine für uns verständliche Weise… (Verwandlung, 163)

Da gibt es also noch einiges zu entdecken…

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Der postmoderne Kick

Ein Wesensmerkmal der Post- oder fluiden Moderne ist die Auflösung der bisherigen Stabilität. Das ist auf vielerlei Art beschrieben und veranschaulicht worden und doch wird hier und da noch über Postmoderne so geredet, als ließe sie sich in Kategorien der soliden Moderne fassen: Fixpunkte, Dogmen, gleichbleibende Konturen.

Vielleicht findet ja der eine oder andere Fußballfan, sofern er nicht dem britischen Reduktionismus eines Gary Lineker (22 Mann, ein Ball…) auf den Leim geht, sondern Augen hat für die komplexe, manchmal sehr kunstvolle Struktur des Spiels, den Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens. Xabi Alonsos erster Profi-Trainer sagt über den vielleicht besten Spieler der aktuellen Bundesliga-Hinrunde: »Ich hatte Spieler, für die war Fußball Krieg. Für Xabi ist das Spiel ein Konzert.« Ein Paradigmenwechsel.

 

Denn auch der Fußball ist gerade dabei, den Schritt über die Moderne hinaus zu nehmen: Formationen und Positionen lösen sich auf, und besonders jene Spielertypen sind gefragt, die sich ad hoc anpassen können. Exemplarisch zu besichtigen im Spiel von Pep Guardiolas wild rotierenden Bayern, selbst wenn der Turbo gegen Hertha BSC (und zuvor gegen Manchester City) nur phasenweise gezündet hat.

Mike Goodman hat das jüngst so kommentiert:

Trying to discuss Pep Guardiola’s tactics is a bit like discovering that the language you’ve spoken your entire life doesn’t really exist. There are words, like full-back or midfielder, that suddenly come to mean completely different things from what they used to. The grammar and syntax of positions and formations that have always worked a certain way (albeit with all the exceptions and caveats of a normal language) suddenly don’t.

Die Worte sind noch da, aber sie bedeuten etwas anderes und sie werden anders verknüpft. Alan Roxburgh hat schon vor Jahren davon gesprochen, dass die alten Landkarten nicht mehr funktionieren. Und doch meinen manche immer noch, die Postmoderne – oder besser mit Zygmunt Bauman: die fluide Moderne – lasse sich kartographieren oder man könne einfach neue, eindeutige Übersetzungstabellen und Wörterbücher erstellen.

Reduktionisten würden sagen, dass auch Guardiola nur elf Mann auf den Platz schicken kann – nichts Neues unter der Sonne, eine flüchtige Modeerscheinung, sagen die ewig modernen Postmoderne-Skeptiker. Britische Reduktionisten kaufen mit den Ölmillionen von Scheichs und Oligarchen die elf besten, aber die Mannschaften fallen wegen (!) des vielen Geldes, das dem Umdenken im Weg steht, eher zurück. Dem entspricht in etwa der ebenso beliebte Ansatz der Moderne-Optimierer, die weitermachen wie immer, nur eben etwas besser und aufwändiger.

Man muss diese Veränderungen nicht mögen, man sollte sie schon gar nicht heilig sprechen, aber wer sie nicht versteht – und vor allem nicht darauf eingestellt ist, dass man in jedem einzelnen Moment genau hinsehen und hinhören muss, weil man nicht mehr davon ausgehen kann, dass Worte und Situationen heute noch dasselbe bedeuten wie gestern –, der könnte einen ähnlich schweren Stand haben wie Trainer und Teams, die gegen Guardiola und die Bayern antreten.

Im besten Fall bekommt man aus einer solchen Begegnung den nötigen Kick, die Zeichen der Zeit zu verstehen, sich auf andere Perspektiven einzulassen und scheinbar Vertrautes neu in den Blick zu nehmen.

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Con:Fusion – ein kurzer Rückblick

Drei Tage gemeinsamen Lebens, Nachdenkens, Betens, Diskutierens und Schaffens in der hessischen Provinz, unweit der Stelle, wo Bonifatius einst die Donareiche fällte, liegen hinter mir. Bäume wurden freilich keine in Mitleidenschaft gezogen. Dort am Gästehaus von anorak21 sagen sich zwar nicht Fuchs und Hase gute Nacht, aber Hund, Schwein und Ziege haben uns neugierig begrüßt, als wir morgens das Haus verließen.

Es war eine schöne Mischung aus bekannten und neuen Gesichtern und eine Kluft zwischen beiden Kategorien war erfreulicherweise nicht zu spüren. Das Experiment mit dem neuen Format ist gelungen, soviel ließ das Feedback erkennen. Hier sind ein paar Gründe:

  1. Mehr Zeit: Wenn man zwischen dem Ankunftsabend und dem Abschiedsvormittag nur einen Tag Zeit hat, ist der viel kürzer getaktet und mit mehr Elementen bestückt. Es war spürbar, dass inhaltliche Dichte und schöpferischer Output vom ersten zum zweiten Tag zunahmen.
  2. Mehr Nähe: Wenn alle unter einem Dach leben und bei allen anfallenden Aufgaben mit anpacken, lernt man sich von ganz unterschiedlichen Seiten kennen, und damit auch besser, als Foren, Stammtische und Studientage es bisher zuließen.
  3. Mehr Rhythmus: Wir haben uns den Luxus geleistet, an unseren Themen über eine längerer Zeit dranzubleiben. Strukturiert wurden die Tage nicht vom Wechsel der Inhalte, sondern von den Gebeten, die wir für die Tage von der Iona Community geborgt hatten, und allem, was sich um die gemeinsamen Mahlzeiten herum an Tätigkeiten gruppiert.
  4. Mehr Bewegung: Diskussionen und Kontroversen, die – nicht nur nach meiner Einschätzung – anfangs vielfach auf Missverständnissen beruhten, ergaben sich schnell. Dann spürte man, wie es tags darauf mit dem Hören besser klappte. Hätten wir nun noch einen dritten vollen Tag gehabt, hätten wir uns vermutlich an den Differenzen gewinnbringend abgearbeitet, die sich aus dem Verstehen ergeben.
  5. Mehr Selbstgemachtes: Impulse und Literatur konnten so verarbeitet werden, dass etwas Neues daraus entstand. Auch dafür war genug Zeit und Raum, und die überschaubarere Gruppengröße hat das begünstigt. Einen Videobeweis füge ich unten ein.

Es wird also nicht das letzte Mal gewesen sein, würde ich vermuten.

Con:Fusion: Something good is on it’s way from Daniel Hufeisen on Vimeo.

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Das Beten der Aktivisten (1)

Aktivisten wollen die Welt verändern und deshalb, so zumindest das Klischee, stehen sie mit dem Gebet auf Kriegsfuß. Zu ungewiss die Resultate, zu anstrengend das Innehalten und Loslassen, zu irritierend die Wendung hin zu Gott und damit immer auch ein Stück weg von den Brandherden dieser Welt. Keine Zeit, die Hände zu falten. Das haben wir alle schon mal so oder so ähnlich gehört.

Doch jeder ernsthafte Aktivismus ist aus zwei Richtungen bedroht: Durch Erschöpfung und Resignation einerseits, wenn einem die Probleme über den Kopf wachsen und selbst jede gelungene Aktion nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist, andererseits durch Selbstgerechtigkeit, die stur und rücksichtslos macht. In selbstgerechten Köpfen entstehen Feindbilder – dann sind eben Banker und Manager die neuen „Zöllner und Sünder“, die kollektive Entrüstung auf sich ziehen – und aus Feindbildern wächst erst der Zorn und dann womöglich noch der Hass. Wink warnt:

Wir könnten einfach im Bann einer neuen, kollektiven Leidenschaft gefangen sein und dadurch versäumen, die Möglichkeiten zu entdecken, zu denen Gott hier und jetzt drängt. Ohne Schutz durch das Gebet ist unser Aktivismus der Gefahr unterworfen, zu einem selbstgerechten „guten Werk“ zu werden. (152)

Wer also weder seinen Mut noch seine Menschlichkeit im Kampf für Gerechtigkeit und im Einsatz für eine bessere Welt nicht verlieren will, für den ist das Gebet kein Beiwerk von zweifelhaften Nutzen mehr, sagt Walter Wink in Verwandlung der Mächte. Die beliebte Frage, ob Beten eine Flucht vor dem Handeln sein könnte, stellt Wink nicht, seine Perspektive ist nicht die des Rückzugs in einen heilen, frommen Binnenraum. Diese Auflösung der Grenze zwischen Tun und Beten habe ich kürzlich auch bei Madeleine Delbrêl gefunden, die schrieb: „Weil wir die Liebe für eine hinreichende Beschäftigung halten, haben wir uns nicht die Mühe gemacht, unsere Taten nach Beten und Handeln auseinanderzusortieren.“ Zugleich ist das Gebet für beide, Wink und Delbrêl, auch mehr als ein Ort der Selbstreflexion. Es verändert nicht nur den Beter in seiner Innerlichkeit, während die Welt um ihn herum ungerührt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt.

In Engaging The Powers verweist Wink in diesem Zusammenhang auf Rudolf Bultmann, der im Blick auf den „Gebetsglauben“ Jesu festgestellt hatte:

… man kann nicht zweifeln, dass, wenn Jesus zum Bittgebet mahnt, dann die Bitte im eigentlichen Sinn gemeint ist, d.h. im Gebet soll sich nicht die Ergebung in Gottes unabänderlichen Willen vollziehen, sondern das Gebet soll Gott bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde.

Nicht die Selbstbegrenzung des deistischen Gottes der Aufklärungstheologie oder die göttliche „Apatheia“ der antiken Philosophen prägen das Weltverhältnis des Glaubens, vielmehr begegnen wir hier jener Vorstellung von Allmacht und Souveränität, die nicht nach einem neutralen Standpunkt sucht, um von dort aus alpgemeingültige Aussagen zu machen, sondern den unablässigen Klagen der Psalmisten und dem Feilschen der Gerechten Israels einnimmt, die Gott unablässig ins Gewissen reden, ihn bei seiner Ehre und seinen Heilszusagen packen und ihn so ins Weltgeschehen verwickeln.

Um noch einmal Madeleine Delbrêl zu zitieren, die das Verbot der Arbeiterpriester der Mission de France unter Pius XII als schweren Rückschlag beklagte und in dem Zusammenhang fragte: „Aber Gott will, dass wir ihn aufdringlich darum bitten, sein Wort zu halten. Haben wir diesen Druck auf Gott ausgeübt, haben wir ihn hinreichend ausgeübt?“

Walter Faerber hat das Weltbild, auf das Wink sich bezieht, in diesem Post schön dargestellt und ihm mit dem keltischen Knoten noch ein schönes Symbol hinzugefügt. Wink folgert aus dem unentwirrbaren Ineinander göttlicher und menschlicher Initiative, sichtbarer und unsichtbarer Einwirkungen:

Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das, was ist, im Namen dessen, was Gott verheißen hat. Fürbitte imaginiert eine alternative Zukunft, anders als die, welche vom Schicksal durch das Zusammenwirken gegenwärtiger Kräfte bestimmt zu sein scheint. Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hereinwehen. (154)

Ich will das im nächsten Post noch etwas näher ausführen. Hier vielleicht noch der Hinweis, der uns bei Con:Fusion 2014 noch ganz wichtig war, dass Wink – durchaus im Einklang mit den biblischen Texten – nie von einer direkten, unvermittelten Intervention Gottes in der Welt spricht. Immer ist ein menschlicher Agent im Spiel – von Adam über Abraham und Mose, die Richter und Propheten bis hin zum Messias, seiner jungen Mutter und schließlich der messianischen Gemeinschaft unter den Augen der Mächte der Welt.

Und so wie Menschen Gott durch ihr Gebet in die Leiden und Kämpfe seiner und ihrer Welt verwickeln, so verwickelt Gott die Menschen durch seinen Geist in die Anliegen seines Reiches, seiner „herrschaftsfreien Ordnung“ (domination-free order), wie Wink so oft sagt, eben jener „alternativen Zukunft“. Wenn wir Gott also, wie Madeleine Delbrêl schrieb, unter Druck setzen, dann deshalb, weil der Funke dieser Sehnsucht uns erfasst hat und sie sich im Umgang mit Gott und den Worten Jesu ständig neu entzündet.

In unserer Gruppe brachte es am Samstag jemand auf den (ziemlich herausfordernden…) Punkt:

Gott hat es so angestellt, dass das Gute nur gewinnt, wenn wir mitmachen.

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