Mitleidenschaft

Gott lässt sich um unseretwillen „in Mitleidenschaft ziehen“, so oder so ähnlich sagte es Andreas Ebert letzte Woche bei den Straßenexerzitien. Ich musste eine ganze Weile über diese Redewendung nachdenken. Manchmal hört man ja auch geläufige Phrasen urplötzlich ganz neu – und entdeckt, wie passend sie sein können:

Wenn etwas (ein Waldweg, der DAX, ein Kniegelenk) in Mitleidenschaft gezogen wird, dann hinterlässt das Spuren, erkennbare Wundmale, auch wenn das eigentliche Ziel der Gewalteinwirkung (des Fahrzeugs, der Gewinnwarnung, der Belastung) ein anderes war. Aktuell heißt das in der drögen Diktion des US-Militärs „Kollateralschaden“, wenn jemand unverschuldet „unter die Räder“ kommt, weil er einer nahenden Gefahr nicht rechtzeitig ausweicht.

Wenn es Gottes Wesen ist (und nicht nur ein dummer Zufall der Geschichte), dass er sich in Mitleidenschaft ziehen lässt, weil er sich in absehbare und vermeidbare Gefahr begibt, dann stellt sich die Frage, inwieweit auch wir uns dem Leid um uns her aussetzen, ob es also angeht, wenn wir jede Möglichkeit nutzen, ihm (dem Leid – Gott – Gott im Leidenden) aus dem Weg zu gehen. Es geht nicht darum, ins Leiden verliebt zu sein. Aber vielleicht ein bisschen in den, der nicht jedes Leid scheut auf seinem Weg zum Mitmenschen.

Bloßes „Mitleid“ mit anderen kann auch einen herablassenden Charakter annehmen, zum faden Bedauern werden. Zum Glück steckt in „Mitleidenschaft“ aber auch noch die Leidenschaft. Leidenschaftlich Anteil zu nehmen ist kostspielig, es strapaziert uns ganz anders und es hinterlässt Spuren. Wir spüren in einer solchen Begegnung aber nicht nur die Defizite und den Schmerz anderer, sondern auch das, was sie antreibt und am Leben hält, ihre Leidenschaft eben.

Und dann kann es passieren, dass sich die Strapaze wandelt zum Geschenk. Dass, wie Christian Herwartz es vorletzte Woche sagte, aus der Dornenkrone ein brennender Dornbusch wird. Ein Ort der Gottesbegegnung und Verwandlung. Heiliger Boden, wo ihn niemand vermutet hätte.

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