Nackte Sohlen, brennendes Herz

Manche haben es ja mitbekommen, dass ich die letzte Woche auf den Straßen von München zugebracht habe. Es war eine sehr bewegende Zeit und in den abendlichen Austauschrunden in der Gruppe, die Christian Herwartz und Andreas Ebert wunderbar einfühlsam und anregend anleiteten, gab es viel zu erzählen – Nachdenkliches, Trauriges und überraschend viel Staunen und dankbare Freude.

Der Franke geht eigentlich ja grundsätzlich mit gemischten Gefühlen durch München, und so verlief auch der Einstieg am ersten Tag. Christian hatte uns die Anregung mitgegeben, darauf zu achten, was uns stört oder traurig macht. Denn hinter der Trauer und dem Ärger liegt die Sehnsucht, wie es sein könnte oder sollte. Auf dem Umweg über die “negativen“ – oder besser: unangenehmen – Gefühle kommen wir der Sehnsucht auf die Spur, die verborgen in uns liegt und die wir uns nicht ausgesucht haben.

Die ersten Dinge, die mir auffielen, waren etliche Schilder, die Leute an den Häusern im Glockenbachviertel aufgehängt hatten: Wo man nicht parken oder seinen Hund pinkeln lassen soll; oder dass, so die Crew einer Kneipe, auf dem Gehweg vor dem Haus „so ziemlich alles verboten“ und mit Bußgeldern für den Wirt belegt sei. Auf dem alten Südfriedhof war neben den Namen auch stets der gesellschaftliche Stand der Toten in Stein gemeißelt, selbst wenn es sich um das wunderliche Prädikat „Privatiersgattin“ handelte.

Überlebensgroß wurden die Inschriften dann in der Fußgängerzone: Ein mit Pralinen gefülltes Schaufenster verkündete, jeder Widerstand sei zwecklos und dass man vor dieser Versuchung nur kapitulieren könne. So funktioniert der Kapitalismus, das war die Stimme der „Wölfe“ aus der biblischen Aussendungsrede, weshalb wir den weisen Rat bekommen hatten, die Wölfe nicht zu füttern, indem wir Geld mitnehmen und ausgeben. Statt der Verbote war hier in der City die Forderung allgegenwärtig, jedem Appetit doch gefälligst umgehend freien Lauf zu lassen.

Foto 27.10.14 10 47 43.jpg

Ich fühlte mich bedrängt von Ansprüchen und Appellen, mein Widerwille gegen diese Bevormundung wuchs, und die Gruppen von Jehovas Zeugen, die in der Innenstadt ihre Schilder mit frommen Parolen hochhielten, linderte ihn auch nicht gerade, ebensowenig wie aggressive und ungeduldige Kraftfahrer.

Wo ist man in dieser Stadt eigentlich unbedrängt? Ich lief auf Umwegen bis zur Münchner Freiheit, nur um dort in einer Seitenstraße die Zentrale von Scientology zu finden. Und dann entdeckte ich sie doch noch: Bei den Surfern auf dem Eisbach und den Schachspielern am Isarufer, wo Menschen über das Spiel zusammenfanden und darüber – wenigstens für den Moment – zu Gleichen wurden. Wer wollte, konnte stehenbleiben und sich – absichtslos und zweckfrei – in den Bann des Spiels ziehen lassen, ein Gesprächsthema mit den anderen finden, und sich irgendwann wieder abwenden und gehen.

Foto 27.10.14 15 27 41.jpg

Und darin begegnete ich der Sehnsucht in mir selbst: Nach dem Freiraum des absichtslosen Spiels; nach der Gleichheit unter Menschen, die nichts anderes von einander wollen , als gemeinsam etwas für diesen Augenblick zu schaffen und zu genießen. Mein Gottesname für diese Woche lautete: Du, der alle Schönheit geschaffen hat und mir im Spiel begegnet, der mir gleich wird und mich an einen Ort führt, an dem ich aufleben kann. Dieses Gebet hat sich Tag für Tag in unterschiedlichen Formen wiederholt.

Share