Gott lässt sich nicht spotten

Am Freitag hat die Heute-Show Teilnehmer am „Marsch für das Leben“ in Berlin ein bisschen auf die Schippe genommen. Ich fand die Interviews von Lutz van der Horst wie immer schlagfertig und witzig, aber eben nicht fies. In der Diskussion im Internet meldeten sich dennoch, wie so oft, empörte Stimmen zu Wort.

Die Standardphrase in solchen Diskussionen lautet: „Gott lässt sich nicht spotten“. Mit dem Bibelzitat verbinden sich meistens Erwartungen, dass Blasphemie wieder sanktioniert werden muss und untrügliche Symptome dafür, dass die Vertreter dieses Standpunktes zwar für sich selbst gern uneingeschränkte Religionsfreiheit in Anspruch nehmen, im Namen derselben jedoch Meinungs- und Pressefreiheit liebend gern einschränken würden. Pluralismus ist für sie ausschließlich negativ konnotiert. Da dürfen Meinungen geäußert werden, die nicht in das eigene dogmatische Raster passen.

Nimmt man die Bibel dagegen wirklich ernst, dann lässt Gott sich sehr wohl verspotten. Nachzulesen in der Passionsgeschichte. Und dann vergibt er denen auch noch, die ihn verspottet haben, lange bevor die überhaupt auf die Idee kommen, um Vergebung nachzusuchen.

Erstaunlich ist, dass Gott nicht nur bei Spott und Frotzeleien ein Auge zudrückt, sondern anscheinend auch bei Humorlosigkeit. Was dies betrifft, teile ich persönlich seinen Standpunkt allerdings noch nicht mit letzter Überzeugung.

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Zähe Gespräche, fruchtbare Gespräche und warum wir beides brauchen

So ein Arbeitstag bringt gewisse Wechselbäder mit sich. Heute morgen sprach ich mit der theologischen Referentin einer großen Kirche über eine noch relativ junge charismatische Gruppierung in ihrem Zuständigkeitsbereich, die ihr einige Sorgen bereitet. Die Kritik konnte ich mühelos nachvollziehen. Sie sprach davon, dass dort eine Radikalität und enorme Intensität zur Norm erhoben wird, die keinen Raum mehr dafür lässt, dass sich die Art zu glauben und das Engagement im Laufe eines Lebens verändert und entwickelt. Stattdessen wird jedes Nachlassen des religiösen Eifers und jedes Abweichen von der „klaren“ Linie mit Schuldgefühlen belegt.

Genau das war der Grund, warum ich irgendwann anfing, mich als „Postcharismatiker“ zu bezeichnen. Mir wurde schmerzhaft bewusst, dass ich die ständig geforderte, vermeintlich „normale“ Betriebstemperatur auf Dauer nicht halten kann, ohne daran innerlich kaputt zu gehen und andere kaputt zu machen. Der Weg zu dieser Einsicht hat aber ein paar Jahre gedauert, und vielleicht findet die betreffende Gruppe ihn ja auch noch irgendwann und muss dann andere Formen und Erfahrungen nicht mehr abschätzig bewerten.

Das andere Gespräch betrifft das gleiche Frömmigkeitsspektrum, aber eine gegenläufige Entwicklung. Ein Pfingstpastor erzählte von seinen Kontakten zur ACK, den manchmal schwierigen Diskussionen im eigenen Lager wegen so mancher Berührungsängste und Vorurteile, aber vor allem von seiner Begeisterung über die Aufnahme dort und die Impulse, die sich im Miteinander entwickeln. Das finde ich immens spannend. Der Ökumene in Deutschland kann das nur gut tun, wenn die Pfingstbewegung dort eine Stimme hat, und für die Pfingstbewegung wird es auch ein Segen sein, wenn Gräben zugeschüttet und Distanz überbrückt wird.

Heute nachmittag dann die Trauerfeier für einen jungen Mann, der letzte Woche auf einer Radtour von einem PKW über den Haufen gefahren wurde. Gott und Kirche waren ihm und den meisten Freunden weitgehend fremd geblieben, und nur ein Teil der Trauergäste konnte oder mochte das Vaterunser mitsprechen. Aber auch die gänzlich unfrommen Abschiedsworte hatten eine große Tiefe und in dem gemeinsamen Reden, Zuhören und Nachdenken entstanden in wenigen Augenblicken ganz tiefe Verbindungen. Jeder spürte die Echtheit des anderen in dem schweren Moment des Abschieds.

Wenn wir über Ökumene nachdenken, über Wachstum und Wandel des Glaubens, über das Problem von Engführungen, Übereifer und anmaßenden Abgrenzungen, dann mit dieser Perspektive des Nachmittags: Wie können wir in solchen Momenten und mit solchen Menschen die gute Nachricht angemessen verkörpern und in Worte fassen?

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New York, Rio, Rosenheim und der „aufgeklärte“ Aberglaube

Kürzlich las ich einen Bericht zur Ebola-Problematik in Westafrika. Ein gravierendes Problem stellen die traditionellen Bestattungsriten dar, die vorsehen, dass die Familie den Leichnam gemeinsam wäscht und küsst, und wo das ausbleibt, da sucht der Geist des Verstorbenen die treulosen Hinterbliebenen heim. Angst und Unkenntnis führen dazu, dass sich immer mehr Menschen infizieren

Wir Europäer haben in den letzten Jahrhunderten gelernt, wie man Ansteckung vermeiden kann und an böse Geister glaubt auch kaum noch einer. Aber wir waren und sind zum Teil immer noch der Meinung, dass man unbegrenzt Klimagase in die Luft pusten kann, ohne dass etwas passiert. Und wenn sich etwas abzeichnet, dann postulieren wir andere Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, die unsere Lebensgewohnheiten unangetastet lassen. Die Folge: Der westantarktische Eisschild ist nach Ansicht vieler Experten dabei, unwiderruflich zu verschwinden (danke an Daniel Wildraut für den Lesetipp!). Der Meeresspiegel würde allein dadurch um etwa drei Meter ansteigen, egal, was jetzt noch geschieht. Sollte auch die Ostantaktis und Grönland abtauen, steigen die Ozeane bis zu 60 m und darüber an (Berlin liegt in Teilen nur 35, Köln 53 Meter über NN, und die Hamburger leben dann auf Hausbooten zwischen den Kirchturmspitzen ihrer versunkenen Stadt).

Ob Afrika oder Antarktis – das Phänomen ist dasselbe. Ein bestimmtes Weltbild mit seinen Lebens- und Denkgewohnheiten verhindert, dass wir Gefahren rechtzeitig erkennen und unsere Lebensweise umstellen. Der nicht mehr zu leugnende Klimawandel wird als eine Art Schicksal oder Fluch verstanden, den wir nicht verschuldet haben, ergo auch nicht ändern können. Es sind zwar keine Geister im Spiel, der westliche Aberglaube gibt sich ganz wissenschaftlich und aufgeklärt. In Wirklichkeit aber ist er selbstgefällig, rigide und denkfaul.

Passend dazu heißt es im Dossier „Denken“ des Philosophie-Magazins unter Verweis auf Hannah Arendt:

Das Gegenteil des Denkens ist nach Arendt nicht die Dummheit, sondern die Gedankenlosigkeit als der sorglose Unwille, eigene Überzeugungen kreativ in Frage zu stellen.

Und etwas später lese ich dort:

Wer sich in der Kunst, Unrecht zu haben, üben will, benötigt nicht zuletzt ein Selbstbewusstsein, das stark genug ist, fundamentale Erschütterungen des eigenen Glaubenssystems nicht als Verlust, sondern als möglichen Gewinn zu empfinden.

Vielleicht sollten wir alle im nächsten Jahrzehnt noch einmal möglichst viele Küstenstädte und -regionen aufsuchen, wenn diese demnächst von der Landkarte verschwinden. New York und Rio zum Beispiel. Unsere Enkel können dann, um bei den Sportfreunden Stiller zu bleiben, nur noch nach Rosenheim. Und dort werden dann auch deutlich mehr Menschen leben, denn viele Küstenregionen sind extrem dicht besiedelt.

Und auf irgendeiner schwimmenden Insel setzen wir Hannah Arendt und den so oft und übel geschmähten Klimaforschern ein Denkmal.

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Nur eine Frage der Zeit?

In der aktuellen Ausgabe des Philosophie-Magazins berichtet Michel Eltchaninoff aus der iranischen Stadt Ghom. Dort trifft er einige der wichtigsten Rechtsgelehrten der Schiiten und fragt nach dem Verhältnis von Glaube und Politik. Das hat im Iran seit der Revolution nach dem Muster der religiösen Statthalterschaft funktioniert, indem man den Brauch der Vormundschaft eines Geistlichen für Minderjährige oder geistig Verwirrte auf den gesamten Staat ausdehnte – mit gravierenden Folgen.

Das Fazit nach ausführlichen Gesprächen in Ghom, das für Schiiten weltweit wie eine Kombination aus Vatikan und Oxford ist, klingt erstaunlich hoffnungsvoll:

Die überraschenden Begegnungen mit Chomeinis alten Weggefährten und reformerischen Geistlichen bringen mich letztlich zu der Überzeugung, dass der Traum von einer religiösen Statthalterschaft im Iran fast tot ist. Grund dafür st die traditionelle schiitische Lehre selbst. Wie der Iran-Experte Yann Richard schreibt: „Durch den Umstand, dass der Imam ‚anwesend‘, aber verborgen ist, wird jeder absolute Anspruch auf Autorität über die Menschen illegitim, denn ein Souverän, der die Befehlsgewalt übernimmt, entmachtet widerrechtlich die innig existierende Autorität.“ Nachdem sie jahrzehntelang davon geträumt hatten, politische und geistliche Macht zu vereinen, scheint die Mehrheit des obersten Klerus und der Theologen zu einer vernünftigen Trennung der beiden Sphären zurückkehren zu wollen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.

 

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Zufälle gibts…

Zum Beispiel letzte Woche: Die Traupredigt war schon fertig, da entdeckte ich noch eine schöne Anekdote über Henry Ford.

Der ließ einst seine Produktion auf Effizienz überprüfen und der Berater wollte einen vermeintlich nutzlosen Mitarbeiter feuern, der den ganzen Tag die Füße auf dem Schreibtisch liegen hatte. Ford soll geantwortet haben, der Mann bleibe, denn er habe eine Entdeckung gemacht, durch die seine Firma sehr viel Geld sparte. Und so weit er wisse, habe er damals genau so dagesessen.

Die Geschichte passte wunderbar zum Predigttext, also erzählte ich sie im Traugottesdienst. Als wir etwas später aus der Kirche kamen, stand das Brautauto vor der Tür: Ein uralter Ford Model T. Mit Felgen aus Holz und einer Kurbel zum Anlassen. Außer dem Bräutigam und zwei weiteren Personen hatte das niemand gewusst, nicht einmal die Braut.

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Das komplexe Spiel mit den Grenzen

Kürzlich habe ich diesen Vortrag von Antje Schrupp über Meinungsfreiheit und political correctness gelesen. Er stammt vom Jahreskongress des Verbandes der Redenschreiber in deutscher Sprache. Sie analysiert darin vieles in unseren öffentlichen Debatten sehr treffend. Wenn etwa (das Thema hat mich ja auch schon beschäftigt) Sarrazin, Broder oder Hahne (der sich neuerdings um die Zukunft des Zigeunerschnitzels sorgt) und andere die Meinungsfreiheit bedroht sehen, weil andere ihnen nun ebenso öffentlich widersprechen, wie sie selbst sich seit Jahr und Tag äußern, dann hält sie dagegen:

… das Recht auf Meinungsfreiheit umfasst eben nicht das Recht, die eigene Meinung jederzeit und überall ohne jegliche Konsequenz sagen zu dürfen. Das ist es in Wahrheit, was viele Kritiker und Kritikerinnen einer angeblich grassierenden Political Correctness einklagen. Meinungsfreiheit umfasst nicht das Recht, dass alle einem zuhören müssen, sie umfasst nicht das Recht, dass alle einen ernst nehmen müssen, und sie umfasst nicht das Recht, von niemandem kritisiert zu werden.

Zweitens fasst dieser Absatz wunderbar zusammen, wie man als Blogger ständig über die Grenzen zwischen dem Diskutablen und dem Indiskutablen entscheiden muss. Darin konnte ich mich sehr gut wiederfinden (gewiss zum Ärger des einen oder anderen, der diesen Blog gern für als Plattform seine – in meinen Augen jedoch indiskutablen – Themen und Positionen benutzt hätte):

Bloggen ist im Übrigen eine ganz hervorragende Übung darin, ein Gespür dafür zu bekommen, wie diese Grenze immer wieder hergestellt wird. Denn mit jedem Kommentar, den ich als „indiskutabel“ weglösche, markiere ich ja diese Grenze. Und mit jedem Kommentar, bei dem ich überlege, weil er eben „grenzwertig“ ist, wird mir bewusst, wie schwierig das ist. Je nachdem, was ich an Beiträgen freischalte und was nicht, ziehe ich nämlich automatisch bestimmte Leserinnen und Leser an und schrecke andere ab. Wenn ich antifeministische Kommentare lösche, dann nicht deshalb, weil ich Zensur ausübe und die Meinungsfreiheit einschränke, wir mir dann manchmal entgegengehalten wird, sondern um eine bestimmte Gesellschaft zu umreißen. Denn würde ich diese Grenze nicht ziehen, würde ich andere Leserinnen und Kommentatorinnen verlieren, nämlich die, die auf „so eine Gesellschaft“ keinen Wert legen. Deren Beiträge sind mir aber wichtiger. Im Übrigen wird ja auch niemand daran gehindert, seinen von mir gelöschten Kommentator gleich nebenan in seinem eigenen Blog doch noch zu veröffentlichen.

Es lohnt sich, den Text ganz zu lesen, schon um der vielen gut gewählten Beispiele willen. Schließlich finde ich auch ihr Fazit sehr hilfreich:

Ich versuche, bei dem, was ich sage, diese Grenze argumentativ so weit zu dehnen, wie es in dieser konkreten Situation und mit den konkreten Menschen, mit denen ich es jeweils zu tun habe, möglich ist, ohne dass die Beziehung abbricht. Weil sonst nämlich keine Debatte mehr möglich ist.

Die meisten Menschen sind durchaus interessiert daran, nicht immer nur die ewig gleichen Wahrheiten serviert zu bekommen. Sie möchten auch in ihren Ansichten herausgefordert werden, sind interessiert an Aspekten und Argumenten, die sie bis dahin noch nicht kannten.

 

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Marktkonformes Christentum?

Kürzlich sprach ich mit einem befreundeten Juristen über die unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen von Kirche und Staat/Gesellschaft. Er erinnerte an den Versuch der Gleichschaltung der Kirchen im Dritten Reich, mit dem der Staat die Kirchen instrumentalisierte. Heute ist dieser Kult um die Nation keine akute Gefahr in Deutschland, darin waren wir uns einig.

Beim Weiterdenken (ich erinnerte mich an diese Worte von Jürgen Moltmann) fiel mir auf: In Zeiten der „marktkonformen Demokratie„, die nicht mehr durch äußeren Zwang herrscht, sondern einen inneren Anpassungsdruck erzeugt (um bloß nicht den Anschluss zu verlieren im gnadenlosen und unablässigen globalen Wettbewerb), liegt die größte Versuchung für dir Kirchen darin, vorauseilend die eigene Nützlichkeit und den „Mehrwert“ des Glaubens zu beteuern: Als leistungssteigernde Wellnessoase, als erfolgsrelevante Bildungseinrichtung, als eine Art legales Glücksdoping und metaphysicher Stimmungsaufheller im Zeitalter der allgemeinen Selbstausbeutung.

Ich habe das vor kurzem auf einer christlichen Website im Grunde genau so formuliert gefunden. Glaube fungiert dann als Lösung und Therapie für das Leben im neoliberalen System, als Schmierstoff fürs Räderwerk, aber eben nicht mehr als Störung, als Irritation, als subversiver Akt der Auflehnung gegen die anonymen und angeblich objektiv alternativlosen Zwänge.

Und all das ganz freiwillig – das ist das Verrückte. Aber irgendwie war die Fusion von Glaubenseifer und nationalem Pathos ja vor hundert Jahren auch freiwillig, wie selbstverständlich, ja sogar fröhlich bis euphorisch. Die oben erwähnte Website hat ihren Text inzwischen ausgebessert. Vielleicht ist das ja ein Hoffnungszeichen?

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Belebende Spaltung

Bin ich Protestant? Oder im Herzen katholisch? Orthodox? Zum Wesen des Christentums – eben nie mit sich selbst identisch – gehören die Spaltungen und inneren Kämpfe. Sie beleben den »Leib Christi«, weil die Wahrheit des Christentums immer zugleich deren Widerruf ist. Die Kirche spricht im Horizont einer kommenden Verwandlung. Was sie in Sprache fasst, widerruft sie, weil sie’s nur in der Sprache der Menschen sagen kann, und da ist kein Halt, bis der Christus kommt und sagen wird: »Im Anfang war das Wort.«

gefunden bei: Christian Lehnert, Korinthische Brocken

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Kein Gleichnis

Auf dem Weg, der vom Sofa zum Kühlschrank führt, befand sich ein Teller. Jemand war mit Messer und Gabel über ihn hergefallen und hatte ihn dann, mit Essenszeiten verklebt, achtlos stehen lassen. Wilde Tiere begannen derweil, sich für ihn zu interessieren.

Da kam ein junger Mann vorbei, sah erst den Teller, dann die Whatsapp-Nachricht auf seinem Smartphone, machte einen Bogen um den Teller und und ging weiter. Ein anderer junger Mann kam auf demselben Weg, sah den Teller, und machte einen Bogen darum, um erst einmal in die Muckibude zu gehen.

Schließlich kam ein dritter, sah den Teller und erbarmte sich. Er trug den Teller in die Küche, entfernte vorsichtig die gröbsten Verschmutzungen und steckte ihn in den Geschirrspüler. Er gab aus seinem Vorrat eine Spültablette dazu, und erteilte dem Geschirrspüler den Auftrag, den Teller bis zu seiner Rückkehr zu säubern und zu wärmen, bis er trocken sei.

Frage: Wer war dieser unbekannte Dritte?

 

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Große Weite auf engem Raum

Im August haben meine Frau und ich gemeinsam mit Freunden an einer „Open Week“ der Iona Community teilgenommen. Die unter George MacLeod wiedererrichtete Abbey, 563 von St. Columba gegründet und seither wohl der heiligste Ort Schottlands (Macbeth soll hier unter anderem begraben sein), bietet Platz für ca. 50 Gäste, dazu kommen viele freiwillige Helfer_innen. Es geht sehr international zu, wir trafen eine große Gruppe aus den Niederlanden und eine Gemeindegruppe aus den Midlands, dazu eine ganze Reihe Einzelpersonen. Es ist bei voller Auslastung reichlich eng rund um den Kreuzgang, die Zimmer sind winzig und oft mit Stockbetten eingerichtet, das Haus ist hellhörig, die Fußböden knarzen mächtig und die Duschen muss man sich geduldig teilen. Wer abends Bier, Cider oder Wein trinken will, muss fünf Minuten laufen in die Bar an der Martyrs’ Bay.

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Wer nach Iona kommt, lebt eine Woche Gemeinschaft auf Zeit. Alle Gäste packen im Haushalt mit an, und ich vermute, das Fehlen einer Industriespülmaschine hat weniger finanzielle Ursachen. Das Arbeiten gehört, genauso wie die Morgen- und Abendgebete zum Konzept von Gemeinschaftsbildung dort. Das Morgengebet endet im Stehen und ohne „Amen“ oder Segen, um deutlich zu machen, dass die nun folgende Aktivität eine nahtlose Fortsetzung des Gottesdienstes mit anderen Mitteln ist.

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Rückzug ist also kaum möglich, zumal sich im Programm kurze Impulse der Verantwortlichen rasch mit interaktiven Elementen mischen, ständig kommt man mit jemand anderem ins Gespräch, mal eher spielerisch-locker, mal zu recht persönlichen Fragestellungen und Themen. Und so hat man nach sechs Tagen viele neue Bekannte, deren Namen es zu behalten gilt. So richtig tief geht es dagegen angesichts des kurz getakteten Ablaufs nur selten. Und man sollte wirklich passabel Englisch sprechen können, sonst wird es mühsam.

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Zum Seele baumeln lassen muss man sich in die Kirche (Farne wachsen innen an den Wänden) oder eine der Kapellen verdrücken oder gleich ganz hinaus gehen – hoch zum Dun I oder an den weißen Sandstrand im Norden der Insel, vorbei an Schafen und Hochlandrindern. Echte Stille gibt es nur sporadisch am Sonntagabend in der Kirche oder auf einer fünfminütigen Etappe des gemeinsamen Pilgerwegs, den die ganze Gruppe in vier oder sechs Stunden geht. Nach jeder Mahlzeit gibt es einen „moment of silence“, der ungefähr einen Atemzug lang dauert und mit einem emphatischen „Thank you, God“ beschlossen wird.

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Reich beschenkt wird man aus dem Schatz der Lieder von John Bell und anderen, aus der ungemein frischen und klaren liturgischen Sprache, die stets mehr wertvolle Denkanstöße enthält, als man in dem jeweiligen Augenblick behalten und zu Ende denken kann, durch die Ehrlichkeit, mit der die Mitglieder der Community erzählen, und die ökumenische Offenheit dort, wo sich Pilger aus aller Welt begegnen. Wem das noch nicht reicht, der findet eine gut ausgestattete Bibliothek im Haus vor und gegenüber einen Buchladen, in dem man schnell arm werden kann.

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Unter den Gästen wie auch den Freiwilligen finden sich viele Pfarrer_innen und Theologe_innen und noch mehr engagierte Laien. Auf eine spannende Art ist Iona für sie „kirchlich“ genug, um sich zuhause zu fühlen, und zugleich anarchisch genug, um sich und die eigene Umgebung einmal kritisch zu betrachten, oder sich von anderen Querdenkern auf der eigenen Suche nach neuen Wegen anregen zu lassen.

Keiner aus unserer kleinen Delegation wusste einen vergleichbaren Ort in Deutschland, an dem Natur, Geschichte, gelebte und schöpferische Gemeinschaft, Begegnung über Landes- und Konfessionsgrenzen hinweg so profiliert anzutreffen wären. Iona ist wieder zu einem pulsierenden Zentrum geworden, wie im Frühmittelalter, als es an der stark frequentierten Wasserstraße entlang der inneren Hebriden lag. Heute erscheint es uns abgelegen und wird gerade deshalb so gern aufgesucht. Man kann die Anreise an einem Tag schaffen, aber dann darf nichts schief gehen, wenn man die letzte Fähre in Fionnphort auf Mull kurz nach 18 Uhr noch erreichen will. Rückwärts ist es einfacher, aber nach so intensiven Tagen wird es den meisten gut tun, noch irgendwo in der reizvollen Umgebung ein paar Tage Rast zu machen und die Eindrücke nachklingen zu lassen.

Es war bestimmt nicht der letzte Besuch.

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Kein Geld für Zahnpasta?

Diese Woche sollen bis zu 300 Flüchtlinge aus dem überfüllten Zirndorf nach Erlangen verlegt werden, etwa 130 sind schon da. Die Stadt Erlangen hat auf dem Parkplatz des Freibad West große Zelte aufgestellt, derweil der Freistaat sich um wintertaugliche Unterkünfte bemüht. Trotzdem sind viele einfach nur froh, aus Zirndorf weg zu sein.

An dieser Stelle muss man der bayerischen Staatsregierung und unserem Herrn Ministerpräsidenten zugute halten: Mit solche einem Andrang von Flüchtlingen hat ja auch wirklich niemand rechnen können, der sich in den letzten 12 Monaten auf den bevorzugten Politikfeldern der CSU (epochale Projekte wie die PKW-Maut, Spielzeugautos, Windradverhinderung, Streichung von Lehrerstellen) bis zur völligen Erschöpfung abgerackert hat.

Die Bürger hingegen sind erfreulich hilfsbereit, schrieb die Tageszeitung gestern. Dennoch hat es nicht nur mich erstaunt, dass in einem Spendenaufruf ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer neben warmer Kleidung auch solche Dinge wie Zahnpasta, Zahnbürsten, und Duschgel vorkamen. Jetzt wissen wir also auch, wofür wir die Einnahmen aus der Maut unbedingt brauchen: Unser Staat ist offenbar nicht einmal mehr in der Lage, lausige 300 Tuben Zahnpasta selber zu besorgen.

Auf die Stadt kann man in aller Bescheidenheit ein bisschen stolz sein, für den Freistaat kann man sich eigentlich nur in Grund und Boden schämen.

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Reichlich Rechtsgläubig

Bild am Sonntag hat vor ein paar Wochen schon mit islamophoben Thesen auflagenträchtig Staub aufgewirbelt und sie dann ebenso auflagenträchtig selbst kritisiert. Das Schwesterblatt „Die Welt“ versuchte schon vor geraumer Zeit, nicht nur Christian Wulff, sondern vor allem auch die Grünen als Islamfreunde an den Pranger zu stellen.

Eine Mitchristin, die anscheinend selten eine Gelegenheit auslässt, den Islam in das düsterste Licht zu rücken, postete nun neulich diesen schon angestaubten Welt-Artikel in einem sozialen Netzwerk und ihre christlichen Freunde kommentieren mit Sätzen, die recht robuste und rustikale Feindbilder transportieren. Da mischt sich eine bestimmte Gläubigkeit mit Islamfeindlichkeit und rechtem Gedankengut auf mehr als bedenkliche Weise. Ein paar kurze, anonymisierte Zitate:

  • Die grünen würden ja Deutschland abschaffen wenn sie könnten. Was hat Trittin mal gesagt? er schäme sich, Deutscher zu sein?
  • Grüne sind einfache Antichristen
  • na Pädophil sind sie ja schon passtja zu der Religion..und für Inzucht sind sie ja auch die grünen….nur gibts dann schwirigkeiten mit den Homosexuellen !!
  • Sie folgen halt Mohamed seime aisha war ja 9 jahre alt als er sie zur frau nahm
  • In islamischen Ländern brennen sie alles Christliche nieder, und hier wird noch von Steuergeldern ihre satanische Synagogen gebaut
  • Die spinnen, die Gruenen. Gleichstellung der Christen mit den Moslems? Wie stellen sie sich das nur vor?

Ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, wenn Leute – Christen! – so reden und schreiben. Als ich in dem Thread anmerkte, dass ich mich wie auf einer NPD-Versammlung fühlte, wurde ich sogleich als „Grüner“ betitelt und bekam mitgeteilt, die NPD sei ja antisemitisch, mit der habe man nichts zu tun. Die NPD würde sich bei so viel inhaltlicher Zustimmung zum übrigen Parteiprogramm freilich trotzdem die Hände reiben. Vielleicht hätte ich alles auch längst vergessen, wenn nicht „Charismanews“ in den USA jüngst ganz offiziell solch militant islamfeindliche Thesen veröffentlicht hätte. Das hat zwar viele Proteste ausgelöst, aber so lange an der Basis vieler Gemeinden unwidersprochen so geredet werden kann, ist das Problem nicht vom Tisch.

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Auf eigenen Füßen

Gut zwei Wochen habe ich in den eher entlegenen Ecken Schottlands verbracht, doch beim Umsteigen auf dem Rückweg haben wir in Düsseldorf mehr Kilts gesehen als in all den Tagen dort, denn die Fans der schottischen Nationalmannschaft waren auf der Heimreise. Richtig angekommen ist in Deutschland aber das Interesse am Referendum über Schottlands Unabhängigkeit. Seit ein „Ja“ nicht mehr unwahrscheinlich ist (und wegen der momentanen leichten Beruhigung anderer Krisenherde), macht die Entscheidung hier mächtig Schlagzeilen. Während ich mich wieder daran gewöhne, hier auf der rechten Straßenseite zu fahren, entscheiden die Schotten über die Richtung für die Zukunft.

Als bayerischer Freistaatsbürger ist man ja chauvinistische Flirts mit separatistischem Gedankengut gewöhnt, rund um den Länderfinanzausgleich etwa klingt das Motiv immer wieder zaghaft an, freilich ein leicht zu durchschauendes Manöver. Denn eigentlich ist es ein Anachronismus, wenn sich ein Teil eines europäischen Landes verselbständigen würde. Nach einem (möglicherweise ablehnenden) britischen Referendum zur Mitgliedschaft in der EU hätte ich das besser verstanden, dachte ich bis letzte Woche.

Tatsächlich gibt es aber schon jetzt eine Reihe wirklich guter Gründe für die Schotten, sich selbständig zu machen. Wer will schon in einem Staat leben, in dem so destruktive Kräfte wie die UKIP Wahlen gewinnen können, in dem das Mehrheitswahlrecht die Machtverhältnisse (in der Regel zugunsten der Konservativen) verzerrt, in dem der Finanzsektor weitgehend die Wirtschaft dominiert und die Politik beherrscht und in dem man in London nicht mit Pfundnoten bezahlen kann, die ein Geldautomat in Edinburgh ausgespuckt hat?

Wenn die Bravehearts also nächste Woche mehrheitlich mit Ja stimmen, dann sollten wir sie in Europa möglichst schnell und herzlich aufnehmen. Zur Einstimmung auf die nächsten Tage empfehle ich das Interview der SZ mit Bob Ross.

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