Wer ist gemeint?

Spitzenpolitiker treten gern als fürsorgliche „Kümmerer“ auf, stellt Richard Sennett fest. Das Muster kommt mir irgendwie bekannt vor:

… wir [lernen] zur zeit eine höchst eigenartige Spielart des Paternalismus kennen: den politischen Führer, der gleichsam über die Köpfe der Bürokratie hinweg, seine Hand ausstreckt, um einen persönlichen Kontakt zum Volk herzustellen. Das Regierungssystem, an dessen Spitze er steht, wird zum gemeinsamen Gegner des Volkes und des Präsidenten. Der politische Führer wird sich ganz persönlich um das Volk kümmern, wie es der anonyme Apparat nicht kann.

[…] Der politische Führer regiert, doch der Verantwortung für die Staatsmaschine, die Regierungsbürokratie, ist er enthoben. Das mag schlau sein, aber es ist auch gefährlich.

Die Gefahr betrifft einerseits den Politiker selbst, der für das Scheitern seiner Politik nun in den Augen des Volkes persönlich haftet. Sie betrifft aber auch die Demokratie an sich, denn durch diese elterliche Pose wird der Bürger scheinbar wohlmeinend und für ihn auch bequem entmündigt. Lässt er sich darauf ein, dann wird er irgendwann feststellen, dass es die Motivation des Amtsträgers keineswegs so selbstlos war, wie es den Anschein hatte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen einem seriösen Kandidaten vertrauen, der keine falschen Assoziationen benutzt und keine überzogenen Erwartungen weckt, nimmt nach solchen Enttäuschungen auch kontinuierlich ab.

Sennett hat das übrigens schon 1980 geschrieben. Da war Horst Seehofer gerade 31 (und Angela Merkel erst 26) Jahre alt. Den kann er also wirklich nicht gemeint haben. Nur falls das jemand vermutet hätte…

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