Niemand hat das verdient!

Vielleicht liegt es daran, dass ich vorgestern einen Bericht über die heimlichen Foltermaßnahmen der CIA und einen über Augenzeugenberichte aus den Konzentrationslagern des Dritten Reiches gelesen habe und dann über Karfreitag nachdenken musste. Jedenfalls fiel mir ein, wie oft ich den Satz gehört habe, „ich“ oder „wir alle“ hätten es ja eigentlich „verdient“ gehabt, am Kreuz zu enden. Also an der für damalige Verhältnisse brutalsten und unmenschlichen Folter zu sterben.

Ich weiß schon, was damit vermutlich gemeint ist: Es ist der Versuch, das neutestamentliche „für unsere Sünden gestorben“ nachzubuchstabieren. Aber es ist für mich ein Versuch, der in eine falsche Richtung führt:

Erstens nämlich verharmlost und legitimiert so ein Satz (ungewollt zwar, aber um so effektiver) die unmenschlichen Grausamkeiten, auf die er sich bezieht, indem es sie als „verdient“ bezeichnet. Dagegen kann man nur sagen: Niemand hat das verdient, wirklich niemand. Zumal sich sofort die Frage stellt, wer ein solches Urteil überhaupt fällen und solche Gewalt verüben darf. Der Satz setzt die Folterknechte und ihre Dienstherren damals und heute ins Recht.

Zweitens wirft der Satz ein völlig entstellendes Licht auf Gott. Dessen Heiligkeit scheint sich daran zu bemessen, dass jeder Kratzer, der ihr zugefügt wird, möglichst drakonisch vergolten wird. Je vernichtender das Urteil über jeden, der sie antastet (man könnte auch sagen: je grausamer die Rache), desto strahlender erscheint Gottes Herrlichkeit. Zugleich löst sich angesichts der Dominanz von strafender „Gerechtigkeit“ die Beziehung von Gottes Heiligkeit und seiner Barmherzigkeit und Liebe fast vollständig auf.

Drittens führt die Aussage zu einem kranken Menschenbild. Wenn jedem Durchschnittssünder schon aus Prinzip die Höchststrafe droht, dann fehlt in Gottes Blick auf den Menschen jedes Element von therapeutischer Korrektur, sanftem Werben, und das kann ja nur heißen, dass man es eben gar nicht wert ist. Wenn also jemand von sich sagt, er habe das „verdient“, dann tut er es ja meist in dem sicheren Wissen, dass ihm die Vollstreckung erspart bleibt. Vielleicht schaut man dann nicht so genau hin und fragt auch nicht, ob man das wirklich, wirklich ernst meint.

Diese Strafe, die an Jesus vollstreckt wurde, hat niemand verdient. Gott hat sie auch nicht „verhängt“. Er hat sie am dritten Tag aufgehoben.

Die Liebe Gottes, die sich am Kreuz zeigt, fragt im Übrigen nicht einmal rhetorisch, was wir „verdienen“ oder nicht. Also auch nicht, um uns einen pädagogisch-taktischen Schreck einzujagen und den dann durch den nachfolgenden Hinweis auf die Vergebung in ewige Dankbarkeit zu verwandeln.

Die Liebe fragt nur danach, wie sie möglichst allen Menschen einen solchen Tod ersparen kann, und wie das unbeschreibliche Leid derer, denen Folter und Grausamkeit widerfährt, in den Horizont einer noch größeren Hoffnung gestellt werden kann.

Das Kreuz ist, so verstanden, aber auch Gottes Gerichtsdrohung gegen die Verbrechen der Nazis, der CIA und aller anderen Menschenverächter. Die unterdrückten Stimmen der Opfer werden nicht aus der Geschichte verdrängt. Die Täter werden sich ihnen noch stellen müssen. Erst dann kann die Welt heil werden.

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