Das schiefe Ebenbild

Vor allem die Vertreter konservativer Positionen haben in den letzten Jahren die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes dazu verwendet, die Notwendigkeit einer Unterordnung der Frau unter den Mann zu begründen oder um zu erklären, warum gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Perversion der Gottebenbildlichkeit des Menschen darstellen. Das Verhältnis der Geschlechter wird dabei aus dem Verhältnis der trinitarischen Personen abgeleitet und damit jeglicher Diskussion um die geschichtliche und kulturelle Bedingtheit unserer Vorstellungen und Definitionen entzogen.

Beide Diskurse – die Frage nach einem egalitären oder komplementären (=hierarchischen) Verständnis von Mann und Frau, wie die Frage, ob gleichgeschlechtliche Liebe defizitär sei – werden von der konservativen Seite als Macht- und Ausgrenzungsdiskurse geführt. Wer in einem solchen Machtdiskurs Gott auf seiner Seite hat, muss nicht mehr auf den anderen hören.

Zum ersten Themenkreis (aber nicht ohne Relevanz für den zweiten) hat Andrew Perriman diese Woche einen hilfreichen Post geschrieben. Dort beleuchtet er das Vater-Sohn Verhältnis im Neuen Testament und zeigt schön, dass dies nicht von einer metaphysischen Ewigkeitsperspektive her gedacht ist, sondern den geschichtlichen Weg Jesu von der Taufe bis zur Auferweckung beschreibt. Eine Analogie zu diesem Verhältnis lässt sich zwischen Mann und Frau schlechterdings nicht sinnvoll konstruieren. Perriman zitiert aus einem etwas älteren Post von David Congdon:

Es lässt sich in Gott keine Analogie zu menschlicher Geschlechtlichkeit finden.

Es lohnt sich, bei Congdon noch etwas weiterzulesen. Ausgehend von Barth wird dort erläutert, dass der „Komplementarismus“ (schön, dass diese Entsprechung zum angelsächsischen Wort- und Gedankenmonster des Complementarianism im Deutschen noch nicht Fuß gefasst hat) eine Form der „analogia entis“ zwischen Gott und Mensch voraussetzt, also eine Art naturgegebene Wesensverwandtschaft, die es überhaupt möglich macht, menschliche Begrifflichkeit, Kategorien und Eigenschaften auf Gott anzuwenden. Für die einen ist das der Intellekt, für die anderen die unsterblich Seele, für wieder andere die Polarität oder Differenzierung von Mann und Frau (das wird gelegentlich irreführenderweise auch als „analogia relationis“ deklariert). Gemeinsam ist allen Ansätzen, dass sie völlig unabhängig von Gottes Selbstoffenbarung in Christus (der analogia fidei) gedacht werden können.

Was die Unterordnung Christi unter den Vater angeht, so wird diese im Neuen Testament nicht abstrakt behauptet, sondern sie vollzieht sich in der Sendung Christi (schön: „his submission cannot be abstracted from his mission“). Das komplementaristische Argument ist ein willkürlicher Zirkelschluss: Um zu beweisen, dass Frauen sich Männern unterordnen sollen, sucht man nach dem Stichwort „Unterordnung“ und wird in der Trinitätslehre fündig, schreibt Congdon. Dazu biegt man sie dann gewaltsam zurecht.

Kommentar meinerseits: Ganz analog geschieht das unter dem Stichwort „Verschiedenheit“, wenn die Unterscheidung der trinitarischen Personen zum Argument gemacht wird, warum die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern irgendwie „falsch“ sein soll – als wäre das Geschlecht die einzige Kategorie der Differenzierung unter Menschen; als würde ein Mann, der einen anderen Mann liebt, prinzipiell sich selbst lieben, während ein Mann, der eine Frau liebt, gegen diesen Irrtum schon deswegen prinzipiell gefeit wäre, weil es sich eben um eine Frau handelt.

Auch da wird ausgehend von der „immanenten Trinität“ argumentiert – und gleichzeitig hartnäckig ausgeblendet, dass „Vater“ und „Sohn“, deren Liebe als Vorbild dient, ja beides maskuline Analogien sind, die dafür herangezogen werden. Hier auf einmal spüren selbst die Vertreter der traditionellen Rollenzuschreibungen, was die Christenheit seit Gregor von Nyssa weiß – dass Geschlechtlichkeit im Blick auf das Wesen Gottes keine sinnvolle Kategorie darstellt. Und der Gedanke der Ehe, also der intimen und dauerhaften Verbindung zweier selbstständiger (!!) Wesen durch einen „Bund“, lässt sich auf die innertrinitarischen Relationen überhaupt nicht sinnvoll anwenden.

Wirklich schlüssig ist für Congdon nur diese Folgerung:

Die ökonomische Trinität [d.h. nicht Gott „in sich“, sondern Gott „für uns“] schließt die Kluft [zwischen Gott und Mensch] nicht, indem sie aus den trinitarischen Beziehungen vermenschlicht, sondern indem sie die menschlichen Beziehungen in ihr Leben hineinnimmt durch die Inkarnation. Wir sind daher nicht berufen, die trinitarischen Beziehungen nachzuahmen, sondern aufgrund der Inkarnation an ihnen teilzunehmen.

… In Christus wird uns daher gezeigt, wie die Dreieinigkeit aussieht, wenn sie das Menschsein einschließt, und wie Menschsein aussieht, wenn es in die trinitarischen Beziehungen aufgenommen wird.

… Wenn wir also das Ebenbild der Dreieinigkeit wiedergeben wollen, können wir das nur, indem wir das Bild Jesu wiedergeben als sein treuer Leib aus vom Geist geleiteten Jüngern in der Welt.

Wenn sich also eine Apotheose der Geschlechterpolarität verbietet, wenn die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Rollen von Mann und Frau in die menschlich-geschöpfliche Sphäre fallen, dann sind sie auch keine Frage der Biologie allein, sondern eine Frage der Kultur. Wenn wir aber von Kultur reden, dann ist damit auch eine gewisse Variabilität verbunden. Wer Angst hat, diesen Interpretationsspielraum verantwortlich zu nutzen, der kann ihn wohl nur leugnen.

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