Der Jona-Komplex (3)

Wir kennen alle die Geschichte mit dem Fisch, mit dessen Hilfe Gott Jona wieder auf „Los“ setzt. Im Bauch des Fischs wird Jona merkwürdig gesprächig und offen, aber die wundersame Veränderung hält nicht lange an. Man muss sie daher auch nicht lange kommentieren.

Immerhin: Der zweite Anlauf sieht anfänglich besser aus: Jona geht auf Gottes erneute Anweisung tatsächlich in die große Stadt – den Hort des Bösen. Ein Tag wenig enthusiastischer Verkündigung dort bringt eine Wirkung hervor, von der andere Propheten nur träumen können: Wie schon die Seeleute glauben auch die Bürger von Ninive bereitwillig.

… viel zu bereitwillig?Es ist ja kaum zu glauben, wie leicht das geht.

Mann und Maus in Ninive flehen Gott auf Geheiß des Königs an, sie zu verschonen – sogar die Tiere fasten mit, um Gott noch umzustimmen. Dabei hatte Jona die Möglichkeit ja gar nicht erwähnt, dass Gott es sich anders überlegen könnte! Aber wie schon die Seeleute im ersten Kapitel unterstellen auch die Menschen in Ninive Gott zu allererst, dass er barmherzig ist.

… und sie behalten Recht!

Jona, der selbst gerade Barmherzigkeit erfahren hatte und dessen Leben verschont wurde, ist alles andere als glücklich über diese Entwicklung. Der einzige akzeptable Ausgang seiner Mission wäre der, dass Gott seine Drohung wahr macht. So, wie für viele Christen der einzig akzeptable Ausgang der menschlichen Geschichte der wäre, dass Gott seine Drohungen wahr macht und alle, die anders glauben und leben als man das selbst für richtig hält, dafür im Jenseits büßen lässt?

Sie übersehen, dass der Gott der Bibel eine lange Geschichte von Drohungen hat, die ihm später leid taten. Und dass genau das vermutlich auch ihr eigenes Glück ist, dass Gott gar nicht um jeden Preis Recht behalten will.

Warum also nicht hoffen, dass die Hölle am Ende vielleicht leer ist? Wäre Gott dann zu harmlos? Wäre alle Verkündigung Zeitverschwendung?

Aber Gott ist nicht harmlos. Und er ist noch nicht fertig mit Jona.

Ein interessantes Licht auf diese Erzählung werfen manche Gedanken aus Arno Gruens Buch Dem Leben entfremdet. Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden. Für Gruen besteht ein Zusammenhang zwischen autoritären Gesellschaften und strafenden, Gehorsam fordernden Gottesbildern – beides hat sich mit den ersten Großreichen entwickelt (parallel dazu fand eine Verschiebung von Kooperation zum Wettkampf statt und eine Objektivierung der Welt, die Gruen ähnlich wie Iain McGilchrist mit einem kulturell bedingten Ungleichgewicht zwischen den Hemisphären des Gehirns in Verbindung bringt). Gruen schreibt:

Seit aber Kampf, Eroberung und Unterdrückung das Leitmotiv unserer Weltzivilisation bilden, wird alles, was auf emphatischen Wahrnehmungen [sprich: „Barmherzigkeit“…] gründet, als schwach eingestuft. Leid, Schmerz und Trauer wurden zum Fluch des Männlichen und daher aus dem Bewusstsein verdrängt. […] Angst wird auf diese Weise zum Kern des eigenen Seins: Die Angst, den Erwartungen nicht zu genügen; aber auch die Angst, eigene Gefühle zu haben; und schließlich die Angst, weil Selbst-Sein ungehorsam zu sein bedeutet. (S.36)

Diese Kultur der Unterwerfung und des Gehorsams gegenüber Autoritäten, so Gruen weiter, führt zum Feinddenken: Wer die Regeln verletzt, wer ungehorsam ist, muss ausgeschlossen werden, weil er das unterdrückte Ich an die eigenen mühsam verdrängten Aggressionen erinnert, die es sich aber keinesfalls eingestehen darf, weil eben jene Kultur mit ihren Göttern, Instanzen und autoritären Protagonisten das eigene Überleben garantiert und sichert:

Man muss dann den Feind im Außen finden, um ihn für die Demütigung der erlebten, selbstverschuldeten Unterjochung zu bestrafen, die man nicht zugeben darf. (S. 39)

Die Gehorsamskultur fördert aber eben auch den Buchstabenglauben, ein äußerst ungesundes Verlangen nach Eindeutigkeit. Und so beharrt Jona auch dann noch darauf, Gott müsse seine Drohung in allen Einzelheiten wahr machen, als dem Leser schon sonnenklar ist, dass es nicht mehr dazu kommen wird. Die Menschen in Ninive nimmt Jona als Mitmenschen gar nicht mehr wahr, nur als anonyme Masse und als Objekte des Zorns. Für Kuscheltheologie hat er keine Zeit. Und weil Gottes Zorn ausbleibt, qualmt nun Jona mächtig vor sich hin.

Vor ein paar Wochen legte ein Tornado eine Kleinstadt in den USA in Schutt und Asche. Viele Christen fuhren dorthin, um den Überlebenden beim Wiederaufbau zu helfen. Es gab aber leider auch andere Stimmen: John Piper dagegen twitterte Hiob 1,19: „Und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß auf die vier Ecken des Hauses und warf’s auf die jungen Leute, daß sie starben; und ich bin allein entronnen, daß ich dir’s ansagte.“ Sein erster Impuls war nicht Mitleid mit den Opfern, sondern es ging darum, klar(!)zustellen, dass sich hier ein Bibelwort erfüllt. Es ging, anders gesagt, schlicht ums Recht haben.

Ein autoritäres Gottesbild verhindert die Identifikation mit menschlichem Leid; und da auch das eigene Leid unterdrückt werden muss, betrachtet man das Leid anderer sogar noch mit einer gewissen Genugtuung. Irgendein „biblischer“ Grund lässt sich schon finden, warum die das verdient haben könnten.

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