Alles drin!

Mir ist das auch nicht immer in allen Einzelheiten bewusst, aber es lohnt sich, hin und wieder einmal kurz durchzubuchstabieren, wie sich ganze Geschehen von Passion und Ostern im Abendmahl verdichtet:

Da ist der Gründonnerstag mit den Vorbereitungen für das Mahl, und auch jede Abendmahlsfeier hatte ihre Vorbereitung bis hin zur Herstellung von Brot und Wein. Schon die scheinbar profanen Handgriffe, die kaum jemand mitbekommen hat, sind Teil dieses geistlichen Ereignisses.

Dann ist da das Abschiedsmahl selbst, in dem Jesus sein bevorstehendes Leiden mit der Erinnerung an den ersten und der damals sehr lebendigen Hoffnung auf einen neuen Exodus verbindet. Zuvor hatte er schon am Tempel und in Jerusalem deutlich gemacht, dass der eigentliche Feind nicht die Römer waren und sich Licht und Finsternis nicht einfach auf den Kontrast von Juden und Nichtjuden hin deuten ließ. Die Heilsgeschichte ließ sich nur dann aus der Blockade befreien, wenn Israel sich den eigenen Schatten stellt und statt gewaltsamer Vergeltung gewaltlose Versöhnung mit Gott und dem Feind sucht. Jesus identifiziert, fernab des Tempels, wo die Opfer stattfanden, die beiden alltäglichsten Elemente dieses Mahls, Brot und Wein, mit seinem Leib und Blut. Blut steht für Leben und Lebenskraft, der Leib für die ganze Vielfalt der konkreten Beziehungen und der einzigartigen Geschichte, die Jesus ausmachten.

Der Weg ins „gelobte Land“ oder das Kommen des Reiches Gottes führt durch Finsternis, Leid, Einsamkeit, Schmerz und Tod – für Jesus selbst, aber auch für viele seiner Nachfolger. So wie der Weg, den Mose seine Landsleute geführt hatte, am Ufer des Schilfmeers anscheinend auch in den sicheren Untergang führte. Daher verlassen Jesus und seine Jünger das Haus wieder und ziehen in den Garten Gethsemane, wo die Jünger vergeblich mit dem Schlaf ringen während Jesus sich einsam der Todesangst stellt.

Es folgen die Ereignisse der Karfreitags – eine lange Kette psychischer und physischer Gewalt, in der der Leib gebrochen und das Blut vergossen wird und sich der Himmel in der Todesstunde verdunkelt. Aber das ist auch der Augenblick, wo der Vorhang zum Allerheiligsten reißt und die Toten sich rühren. Einen Moment lang wackelt die gewohnte Ordnung der Wirklichkeit mit ihren säuberlichen Trennungen.

Und etwas mehr als eine vollen Erdumdrehung später zeigt sich, dass das Beben einen epochalen Umbruch angedeutet hatte. Der macht sich zunächst negativ bemerkbar – am leeren Grab. Er wird begleitet von weiteren Erscheinungen, statt der Toten sind es aber nun Engel. Die tauchen bevorzugt an den großen Wendepunkten von Gottes Geschichte auf. Und schließlich tritt mit dem auferstandenen Jesus der „Prototyp“ einer neuen Wirklichkeit mitten in den Raum (beziehungsweise ans Ufer des Sees) und lädt seine völlig überraschten Jünger zum Essen ein. Da schließt sich der Kreis.

So wie sich Israel beim Passah nicht einfach nur erinnerte, sondern in der Feier den Auszug aus der Sklaverei im Blick auf die verheißene Zukunft vergegenwärtigte, so vergegenwärtigt das Abendmahl diesen Weg Jesu und seine bleibende Gegenwart, die keine rein „geistige“ und damit „reine“ und eben auch abstrakte, sondern (darauf beharrte Luther stur bis zum Abwinken) eine leibliche Gegenwart ist, eine Gegenwart mitten in den Wehen und Wirren unseres Lebens, dessen Gastgeber er ist. Deshalb kehren wir, so oft wie es geht, an seinen Tisch zurück, an dem seine Geschichte auch unsere Geschichte wird, sein Tod unser Tod ist und sein Leben in unserem Leben eine neue Richtung, Entschlossenheit und Hoffnung zur Geburt bringt.

Das Abendmahl ist das Konzentrat der biblischen Heilsgeschichte von Mose bis zum Tag X. Mit einfachsten Mitteln und ganz wenigen Worten, die niemanden überfordern – und doch von einer Tiefe, die wir auch nach Jahrzehnten des Feierns noch nicht völlig ergründet haben.

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