Fieser Vergleich?

Die Empörung kam bei mir zuerst an: Prominente Evangelikale reagierten verärgert über ein Interview in Christ und Welt, in dem der Wiener Religionswissenschaftler Rüdiger Lohlker Salafisten als „Evangelikale des Islam“ bezeichnete. Ob es so geschickt war, dies auch gleich zur Überschrift zu machen, ist die eine Frage. Die andere ist, ob hier schlicht unverantwortlich geschrieben und verglichen wird. Ein Leserkommentar beim Pro Medienmagazin fordert auch prompt die Bastonade für den Provokateur. Sarkasmus?

Evangelikale hatten ja keine ganz schlechte Presse in letzter Zeit. Das Thema Christenverfolgung traf dieses Jahr auf deutlich positiveres Echo als früher, Aktionen zum Thema Menschenhandel wurden in den letzten Tagen sehr positiv kommentiert. Erfolgt nun ein Gegenschlag, ist das gar der Versuch einer erneuten Ausgrenzung? Ich war neugierig und habe nachgelesen.

Zunächst einmal wird der Salafismus beschrieben und erklärt, dass es eine quietistische, eine politische und eine militante Richtung gibt und vor allem letztere der Anlass war, diese Strömung zum Feindbild umzufunktionieren. Dabei sei der Salafismus erst einmal eine weltweite Frömmigkeitsbewegung. Und genau an diesem Punkt – weltweite Frömmigkeitsbewegung – zieht Lohlker nun den Vergleich, von dem er schon ahnt, dass er Empörung auslösen wird, und den er selbst gleich vorab als „überspitzt“ bezeichnet und damit auch schon ein Stück relativiert.

Er führt die Parallelen dann weiter aus: Bekehrungserlebnisse und Erweckungserfahrungen, bewusste Glaubensentscheidung, konservative Kritik an der Moderne, die sich der neuen Medien bedient, eine Art Gleichheitsideal wie das „Priestertum aller Gläubigen“ – und das war es auch schon. So weit ich das beurteilen kann, ist das als Beschreibung des Evangelikalismus (so uneinheitlich dieser auch ist) weder falsch noch gehässig.

Richtig auf die Barrikaden gehen müssten auch die Kirchen der Reformation, wenn Lohlker später Parallelen zu Luther und Calvin zieht und den Reformatoren das Anliegen zuschreibt, die Religion durchaus mit einem gewissen Eifer von Verweltlichung reinigen zu wollen. Endgültig entfallen schließlich alle Vergleiche zu irgendwelchen christlichen Richtungen der Gegenwart, wenn es um das Bild eines strafenden und verbietenden Gottes geht (dazu wären nicht nur mir durchaus noch einzelne Stimmen eingefallen…) und um gewaltbereite Anhänger.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass Lohlker hier nicht Evangelikale mit Salafisten vergleicht, sondern Salafisten mit Evangelikalen und Reformatoren. Das ist insofern ein Unterschied, als er damit voraussetzt, dass Evangelikale erstens bekannt und zweitens in Kirche und Gesellschaft integriert sind, und mit dem Vergleich für mein Empfinden zeigen möchte, dass Salafismus (wie Evangelikalismus auch) nicht zum Schreckgespenst taugt, dass es sogar denkbar ist, dieser ambivalenten Bewegung vielleicht konstruktiver zu begegnen, als es bisher gelungen ist.

In einem Atemzug mit Salafisten genannt zu werden, ist natürlich schon deshalb für niemanden schmeichelhaft, weil das stereotype Feindbild des bombenwerfen Bartträgers sich bei uns schon so festgesetzt hat. Wenn die Aufregung nun dazu führt, dass Evangelikale sich gegenüber Muslimen im Allgemeinen und Salafisten im Besonderen um größtmögliche Differenzierung und Fairness bemühen (und etliche, wenn auch nicht alle, tun das ja längst!), dann hätte das auch etwas Gutes für unsere Gesellschaft und auf längere Sicht auch für die ersehnte und nachhaltige Wahrnehmung evangelikaler Christen als einer Gruppe, die den gesellschaftlichen Frieden fördert.

Nachtrag: Michael Diener antwortet auf Christ und Welt mit diesem Artikel. Die innerevangelikalen Spannungen und Akzentverschiebungen aus jüngerer Zeit diskutieren Andreas Malessa und Michael Diener in diesem Beitrag auf hr2, der auch Stimmen aus den Landeskirchen sammelt. Unter anderem kommt auch EKD-Präses Nikolaus Schneider zu Wort.

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