Der andere Blick

Immer wieder mal überlege ich, inwiefern sich meine Lebensperspektive in den vergangenen Jahren verändert hat. Ich fand das bisher gar nicht leicht zu beschreiben, aber nun habe ich vielleicht doch eine Metapher gefunden, die es einigermaßen trifft:

Man kann das Leben durch ein Telezoom betrachten. Der Blick geht dabei in die Ferne und aufs Detail, einzelne Elemente eines Bildes treten scharf hervor und anderes rückt oft unscharf in den Hintergrund. Vieles wirkt näher, als es ist, und andere Dinge erscheinen nicht im Bild, obwohl sie zur direkten Umgebung gehören. Und man selbst kann dabei der Illusion erliegen, das Ziel sei eigentlich schon zum Greifen nahe.

Und dann gibt es die Weitwinkel-Perspektive. Da erscheint auf einmal ein größeres Panorama und es ist weniger vorsortiert. Neben dem, was in der direkten Blickrichtung liegt, treten auch die Dinge rechts und links davon ins Bild. Alles wirkt etwas kleiner, das Auge schweift von einem zum anderen Teil des weit geöffneten Feldes.

Manchmal stürzen in der Weitwinkelperspektive die Linien, und wer im Weitwinkel lebt, fühlt sich manchmal auch selbst klein und auf schwankendem Boden. Er sieht nicht nur die Gipfel, Türme und anderen Höhepunkte sondern hat auch ein Gespür für die schwindelerregenden Abgründe dazwischen und dahinter.

Zugleich wird im Weitwinkel klarer, wo man selbst steht, während man das bei den langen Brennweiten oft nur vermuten kann. Im Telemodus dominiert das Objekt ein Bild (freilich sorgsam in Szene gesetzt von einem unsichtbaren Subjekt), im Weitwinkel kann schon mal Hand und Fuß des Betrachters am Bildrand erscheinen.

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