Feurig beten

Es brennt im US-Bundesstaat Colorado, Zehntausende werden evakuiert, mein Facebook-Feed ist voller Gebetsaufrufe. Und ich bin innerlich gespalten. Freilich will ich nicht, dass irgendwem Schaden an Leib und Leben widerfährt, dass Menschen Hab und Gut verlieren und die Ökosysteme der großartigen Natur großflächig zerstört werden.

Zugleich steckt da aber auch dieser Gedanke im Hinterkopf: Die USA sind maßgeblich verantwortlich für die Verschwendung fossiler Brennstoffe, einen Immensen Ausstoß an Treibhausgasen und eine Verschleppung der weltweiten Bemühungen zur Verhinderung einer wahrscheinlichen Klimakatastrophe. Und Amerika denkt erfahrungsgemäß nur dann (und auch dann nur vielleicht…) um, wenn die Katastrophe zuhause einschlägt.

Wenn diese Feuer {verschwindend klein, wie diese Hoffnung auch sein mag) zu einem Umdenken und nachhaltigen Bewusstseinswandel führen, dann würden sie für viele Menschen in der Zukunft unter Umständen Gutes bewirken, überall auf der Welt. Das schmälert das Leid der Betroffenen nicht, aber die wohnen wenigstens in einem wohlhabenden Land.

Geht hingegen alles noch glimpflich ab, dann wacht davon niemand auf, alles geht weiter wie bisher und wenn die nächsten Brände, Fluten oder Stürme in irgendeiner abgelegenen und armen Region eintreten, rüttelt das auch niemanden mehr auf.

So. Was wollte ich jetzt eigentlich genau beten?

Share

Nichts für schwache Nerven (2)

Ich habe vor Kurzem schon ein paar Eindrücke von den kontemplativen Exerzitien hier zusammengestellt, die sich im Wesentlichen auf die erste Hälfte der Zeit dort bezogen. Am fünften Tag war ich innerlich so richtig angekommen. Sorgen und Geschäftigkeit waren in den Hintergrund gerückt, die Nervosität über die Zumutung des Stillhaltens hatte sich gelegt, allmählich ging eine große Tür nach innen auf, nicht nur zu mir selbst, sondern auch zu Gott.

Rückblickend finde ich es bemerkenswert, dass alle sich wesentlichen Begegnungen und Einblicke tatsächlich in der kleinen, meist von Sonnenlicht durchfluteten Kapelle abspielten, und nicht wenn ich allein Spazieren war im Wald oder in meinem schlicht eingerichteten Zimmer. Vielleicht liegt es daran, dass selbst in Zeiten der Stille die Anwesenheit anderer mich wundersam trägt und öffnet für Gott?

Dieser fünfte Tag begann mit einem kleinen Pfingsterlebnis, ausgelöst von der gemeinsam gesprochenen Schlussdoxologie des Vaterunsers, die in der Stille plötzlich wie ein Allegro furioso zu klingen schien und mir die Verheißungen Matthäus 6 von den Lilien auf dem Feld und den Vögeln am Himmel in Erinnerung rief, deren Schlussakkord der Aufruf bildet, zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten: Sorglosigkeit und Konzentration auf das eine Große und Verborgene, was Gott in dieser Welt tut. Es sprudelte wie ein artesischer Brunnen aus dem Untergrund heraus, ganz klar und frisch. Ich war überrascht und überwältigt – so fröhlich hatte ich mir das Ganze gar nicht vorgestellt.

Die Freude blieb bis zuletzt und sie ist eigentlich immer noch da. Aber aus diesem Getragensein heraus wurde es möglich, dass ich mich in den nächsten zwei, drei Tagen so ehrlich und intensiv wie noch nie mit Fragen beschäftigen konnte, die mir bis dahin zu angstbesetzt und bedrohlich schienen. Manchmal musste ich meinen ganzen Mut zusammenkratzen, aber es wurde, trotz gelegentlichen Schauderns am inneren Abgrund, mit jedem Schritt leichter, weil ich spürte, wie das Wasser unter meinen Füßen (ich wechsle die Metapher, aber so fühlte es sich an) mich tatsächlich trug. Und am Ende sah ich nicht nur besser, was sich da im Schatten verborgen hatte, sondern ich verstand auch Lebensmuster, die mir bis dahin immer Rätsel aufgegeben hatten. Und zwar just in dem Moment, wo ich weder etwas rechtfertigen musste noch kapieren und erklären wollte. Eher war es ein Aha-Erlebnis, wie man es hat, wenn man aufhört damit, sich krampfhaft an einen vergessenen Namen zu erinnern, und dann ist er scheinbar mühelos ganz urplötzlich da.

In dieser Zeit und an diesem Ort der Stille wartete Gott geduldig auf mich. Und als ich da war und sich keine anderen Stimmen mehr einmischten, führte er mich ganz behutsam und mit einer Weisheit, die eben nur er hat, in die Tiefe und die Freiheit. Völlig ohne Druck und Zwang, nie ohne meine Einwilligung, aber in einer unglaublichen Intensität und manchmal mit atemberaubendem Tempo. Und nach den zehn Tagen im geschützten Rahmen war das alles nicht vorbei. Die Quelle sprudelt weiter und ich spüre, wie sie meinen Alltag und die Beziehungen zu anderen Menschen weiter verändert. Vielleicht hat Gott (mancher wird das grundsätzlich bezweifeln, aber ich kann und will das auch gar nicht verklausuliert zurücknehmen – wenn es passiert, dann weiß man intuitiv, dass das keine der Stimmen aus dem eigenen Inneren war) in diesen Tagen insgesamt drei oder vier Sätze zu mir gesprochen. Aber bei ihm reicht eben schon ein Wort und „meine Seele wird gesund“.

Es ist ohne Übertreibung das Beste, was ich in den letzten zehn Jahren erlebt habe. Aber wirklich nichts für schwache Nerven.

Share