Werktagsreden

Das Thema Integration hat mich die letzten beiden Tage intensiv beschäftigt. Gestern vormittag hörte ich Prof. Heiner Bielefeldt auf einer Veranstaltung im Rathaus über die Menschenrechte und deren Bedeutung für Integration in Europa reden, am Abend folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Menschlichkeit im Rechtsstaat“, die von beiden großen Kirchen ausgerichtet wurde.

Leider war sie eher spärlich besucht, etwas 50-60 Leute hatten sich in der Markuskirche eingefunden. Eine Vertreterin der Stadt Erlangen, eine Beamtin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der frühere Vorsitzende des Erlanger Ausländer- und Integrationsbeirats, ein Vertreter des bayerischen Flüchtlingsrates.

Es begann etwas zäh. Die Menschenrechte als das verbindende Element von Menschlichkeit hätten der Debatte gut getan. So wiesen die Vertreterinnen der Behörden auf die geltende Rechtslage, nicht ohne sie kräftig schönzufärben als „in Recht gegossene Menschlichkeit“ – gemeint war das Grundrecht auf Asyl, das seit 1993 durch zahlreiche Bestimmungen eingeschränkt und ausgehebelt wird. Und freilich erscheint in dieser obrigkeitlichen Logik jeder, der – mit welcher Motivation auch immer – das Gesetz missachtet, als Vorbote von Anarchie und Chaos, die sattsam bekannte Dammbruch-Logik. Entsprechend entrüstet wurde auch die Kritik an konkreten Entscheidungen einzelner Beamtinnen zurückgewiesen.

Umgekehrt standen dann nur spärlich abgemilderte Vorwürfe sturen Kadavergehorsams im Raum. Erst mühsam entspann sich unter (zum Teil etwas weitschweifigen) Wortbeiträgen der rote Faden eines Konsenses, der die Politiker (insbesondere die aktuelle Regierungskoalition in München und Berlin) und deren bis zur Unmenschlichkeit restriktive Gesetzgebung als die eigentliche Ursache des Problems ausmachten, und am Ende konnte man zwischen den Zeilen auch bei den beiden Vertreterinnen der Behörden Kritik an der Rechtslage vernehmen und die damit verbundene Einsicht, dass geltendes Recht nicht immer gutes Recht im Sinne der Mitmenschlichkeit ist. Die aber, daran ließen die beiden Dekane keinen Zweifel, ist für Christen noch wichtiger als der Gehorsam gegenüber dem Rechtsstaat. Und so kam auch Kirchenasyl als letztes Mittel wieder ins Gespräch.

Die Hauptaufgabe bleibt jedoch die öffentliche Meinungsbildung. Am Vormittag hatte Prof. Bielefeld noch erläutert, das beste Mittel gegen diskriminierende Hate Speech sei more speech. Den Scharfmachern dürfen wir nicht das Feld überlassen. Ich habe hier in jüngster Zeit viel über das Schweigen gepostet, aber natürlich gilt auch hier: Alles hat seine Zeit und seinen Ort.

2013 wird gewählt – in Bayern und im Bund. Nur wenn unsere Innenminister und deren schwarze Parteifreunde an den Stammtischen nicht mehr billig punkten können, indem sie den harten Hund gegen Fremde herauskehren, wird der Weg frei für eine Neufassung des verstümmelten Asylrechts und zu Gesetzen, die Integration ernsthaft fördern und den Fremden nicht als Menschen zweiter Klasse behandeln.

Wir brauchen keine Sonntagsreden, sondern Werktagsreden, in denen möglichst viele möglichst klar Position beziehen zugunsten von mehr Mitmenschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen und Fremden. An diesem Gespräch können wir uns alle ab sofort ganz offensiv beteiligen!

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Psalm 23 als geistlicher Weg

Ich habe letzten Sonntag den unzähligen Interpretationen von Psalm 23 eine weitere hinzugefügt. Viele kennen den Text ja auswendig, und das heißt, man kann sich so auch jederzeit an den Worten und Bildern entlang hangeln und wieder an ein paar Dinge erinnern.

Es geht darin um die praktische Weisheit kontemplativer Spiritualität, sich eine möglichst unverstellte Wahrnehmung zu gestatten und das wertende Urteil möglichst lange auszusetzen – die Widersprüchlichkeit unserer Erfahrung zwischen grüner Aue und düsterer Schlucht nicht vorschnell zu bewerten (die Geschichte ist ja noch nicht abgeschlossen) oder mit irgendeinem theologischen oder psychologischen Bilanztrick ausgleichen zu wollen. Einfach mal seelenruhig am gedeckten Tisch zu sitzen – im Angesicht meiner inneren und äußeren Feinde (oder dem, was ich dafür halte).

Einen besseren Weg, um von einer unreifen Naivität zu einem reifen und robusten Gottvertrauen (der „zweiten Naivität“) zu finden, kenne ich nicht. Vielleicht inspiriert es ja den einen oder die andere.

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