Glaube und Wissenschaft: So tun, als ob

Glaube an Gott … lässt sich nicht reduzieren auf eine sachliche Antwort auf die Frage „existiert Gott?“, wenn man für einen Augenblick davon ausgeht, dass der Ausdruck „eine sachliche Antwort“ einen Sinn hat. Es bedeutet, der Welt gegenüber eine Haltung, eine Disposition einzunehmen, wodurch diese Welt, so wie sie für mich zu sein beginnt, eine Welt ist, in die Gott hineingehört. Dieser Glaube verändert die Welt, er verändert aber auch mich. Ist es wahr, dass Gott existiert? Wahrheit ist eine Disposition, nämlich jemandem oder etwas die Treue zu wahren. Man kann nicht einfach an nichts glauben und so jeglichen Glauben meiden, einfach deswegen, weil man der Welt gegenüber nicht keine Disposition haben kann, das wäre in sich schon wieder eine Disposition. Manche Menschen entschließen sich, an den Materialismus zu glauben; sie handeln so, als wäre diese Philosophie wahr. Eine Antwort auf die Frage, ob Gott existiert, kann nur so kommen, dass ich so handle, „als ob“ es Gott gibt, und auf diese Weise Gott die Treue wahre und erlebe (oder vielleicht auch nicht), wie Gott mir die Treue wahrt.

Dieses „Tun, als ob“ ist keineswegs eine Ausflucht, ein Eingeständnis, dass man das, was man angeblich glaubt, gar nicht „wirklich“ glaubt. Ganz im Gegenteil: Wie Hans Vaihinger verstand, ist alle Erkenntnis, vor allem wissenschaftliche Erkenntnis, nicht mehr als zu handeln, „als ob“ bestimmte Modelle bis auf Weiteres wahr sind. Wahrheit und Glaube.

Iain McGilchrist, The Master and His Emissary, S. 170f.

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