Tom Saywer missional, oder: Der Mut zur Zumutung

Rodney Stark wirft in The Rise of Christianity einen interessanten Blick auf die Christenverfolgungen im Römischen Reich. Was das mit missionaler oder emergenter Kirche zu tun hat, erkläre ich gleich. Zunächst zu Starks Thesen: Stark sagt, alle religiösen Gemeinschaften haben das Problem der Trittbrettfahrer: Menschen, die von der Gruppe profitieren ohne selbst irgendeinen Beitrag dazu zu leisten. Diese unverbindliche Rosinenpickerei ist für Glaubensrichtungen, die ein soziales Leben entwickeln, ein gravierendes Problem, weil sich irgendwann die Aktiven ausgenutzt fühlen und ihr Engagement zurückfahren. Anders ist es bei religiösen Strömungen die keine Gemeinschaften bilden oder nur das Gegenüber von Meister/Guru/Medium und Heilsuchendem kennen, aber weil diesen die soziale Dimension fehlt, sind sie auch schwächer.

Man kann nun das Problem so lösen, dass man Hürden errichtet, deren anstrengendes Überwinden die Ernsthaftigkeit des Interessenten erkennen lässt: Ähnlich wie Neumitglieder in einem Verein eine Aufnahmegebühr zahlen, die nicht erstattet wird (die Forderung nach zölibatärem Leben hat soziologisch gesehen dieselbe Funktion). Das wären Maßnahmen von innen. Die Märtyrerkirche musste sich solche Fragen nicht stellen. Selbst wenn die Verfolgungen sich meist gegen die Amtsträger richteten, kaum jedoch gegen die „einfachen“ Gläubigen, war der Einsatz deutlich erhöht. Wer bereit war, den Preis zu zahlen und gelegentlich Schikanen oder Ähnliches in Kauf zu nehmen, hatte zugleich einen deutlichen Gewinn – er gehörte zu einer starken, verschworenen (warum sagen wird’s im Deutschen eigentlich so?) Gemeinschaft. Der Kaiser löste also nichtsahnend das Trittbrettfahrerproblem und er machte die Gemeinden damit nicht schwächer, sondern stärker und attraktiver. Zugleich, und Stark wird nicht müde das zu betonen, blieben die Gemeinden ein „offenes Beziehungsnetz“ – sie waren öffentlich bekannt (also keine Untergrundkirche), sehr gastfreundlich und setzten sich für ihre Nächsten praktisch ein, wenn diese krank wurden oder in Not gerieten.

Heute funktionieren viele Gemeinden quer über das ökumenische Spektrum nicht mehr als ein offenes Beziehungsnetz und viele Überlegungen gehen in die Richtung, dass man fragt, wie die Schwellen gesenkt werden können. Man betreibt Marktforschung und versucht, möglichst maßgeschneiderte Angebote zu machen. Und auf möglichst jede Sorge und Empfindsamkeit Rücksicht zu nehmen. Wir reden von centered sets, die auf alle Hürden verzichten, und schon von Willow Creek hatten alle vor Jahren schon gelernt, dass man Interessierten nicht zu schnell zu nahe treten darf, sondern man lässt sie beim Klingelbeutel aus und auch sonst so weit wie möglich in Ruhe, bis sie sich rühren. Und in manchen verschwurbelten Volkskirchentheorien wird das Nichtengagement der passiv Partizipierenden theologisch komplett verklärt.

An dem Bemühen, Menschen gerecht zu werden, ist auch gar nichts falsch. Allerdings fördert diese pauschale Hemmung, irgendwo irgendwie eine klare Grenze im Sinne einer verbindlichen Forderung zu ziehen, vermutlich auch das Trittbrettfahrertum und ermüdet die Engagierten überproportional schnell. Man müsste also bei aller Bemühen um Inklusion einen Weg finden, an anderer (und hoffentlich besserer!) Stelle wieder ein bisschen exklusiv zu werden. Das könnte zum Beispiel die Erwartung von Konsumverzicht sein, oder irgendeine andere Zumutung – ein „Stigma“, wie Stark sagen würde. Jede Gemeinschaft muss das selbst bestimmen.

Bei allen Aversion gegen falsches Leistungsdenken in Gemeinden gibt es vielleicht auch einen richtigen und guten Platz für ganz konkrete Zumutungen im Sinne von Bonhoeffers „teurer Gnade“. Dass Gott etwas von mir erwartet, kann doch auch eine gute Nachricht sein, oder? Immerhin traut er mir (im Unterschied zu manch anderen) tatsächlich etwas zu! Genial veranschaulicht hat die psychologische Dynamik dabei Mark Twain:

„Bist ganz schön beschäftigt, wie?“ versuchte er es noch einmal.

„Ach, du bist es, Ben… Hab dich gar nicht bemerkt.“

„Kommst du mit zum Schwimmen? Obwohl, vermutlich willst du lieber schuften!“

„Ich schufte doch nicht. Das mache ich aus Spaß.“

„Du behauptest allen Ernstes, dass du das gerne tust?“

Tom bewegte den Pinsel kunstvoll auf und ab. „Warum denn nicht? Wann kriegt man denn schon mal eine Chance, einen ganzen Zaun alleine anstreichen zu dürfen!“

Das ließ die Angelegenheit in einem ganz anderen Licht erscheinen. Tom malte mit äußerster Eleganz weiter, verbesserte hier und da eine Kleinigkeit, während Ben ihn nicht aus den Augen ließ. Die Sache interessierte ihn immer mehr. „Lässt du mich auch mal?“

Tom zögerte kurz. „Nein, das geht nicht, Ben… Tante Polly ist furchtbar pingelig mit ihrem Zaun. Es wird kaum einen Jungen unter tausend geben, der es ihr recht machen könnte.“

„Och, komm. Lass es mich doch wenigstens versuchen. Nur ein kleines Stückchen!“

Tom zierte sich noch ein wenig, aber als Ben ihm den Apfel dafür anbot, reichte Tom ihm scheinbar widerstrebend den Pinsel. Innerlich frohlockte er. Und während das alte ‚Dampfschiff‘ in der Sonne arbeitete, saß der Künstler auf einem Fass im Schatten und aß genüsslich den Apfel. Im Laufe des Nachmittags schlenderten noch weitere Jungen vorbei, die erst spotteten, um dann zu streichen.

Am frühen Nachmittag war aus Tom ein steinreicher Junge geworden. Vor ihm lagen Schätze wie, ein gut erhaltener Drachen, eine tote Ratte, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe zum Durchsehen und vieles mehr. Die ganze Zeit über hatte Tom gemütlich im Schatten gesessen und Unterhaltung gehabt. Eine dreifache weiße Farbschicht bedeckte den Zaun. Wäre die Farbe nicht ausgegangen, hätte Tom sämtliche Jungen des Ortes bankrott gemacht. (Quelle: Lesekorb)

 

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