Advent 2010 (2): Ungewohnte Geräusche

(Teil 1 ist hier zu finden)

Alles beginnt mit einer Stille, so stelle ich mir das zumindest vor. Während alle beschäftigt sind, das Rad am Laufen zu halten, gibt es auch ein paar Überflüssige, ins Abseits geratene, die in den Ruinen des einstmals stolzen Jerusalem hausen. Für sie und über sie dichtet der namenlose Prophet ein Leid voller Hoffnung. Es dringt durch die Grabesstille, durch das bedrückte Schweigen (Jes 52,7-10):

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.

Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt.

Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem.

Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

Das erste, was wir hören, sind Schritte.

Ein Bote kommt gelaufen. Wenn es ein Film wäre, dann sähen wir eine Hügelkette mit Jerusalem in der Ferne, und einen Weg, der den Kamm erreicht. Auf diesem Weg sähen wir federnd ein paar Füße laufen, nicht mit schweren Soldatenstiefeln. Jemand fliegt fast dahin und hat doch noch genug Luft, vom Frieden zu sprechen dabei. Anders als der legendäre Marathonläufer stirbt er auch nicht am Ziel. Er eilt dem nahenden König voraus, Waffen und Gepäck hat er abgeworfen, weil er weiß, er wird nie wieder kämpfen müssen. Friede ist eingekehrt: Nicht zu einer Stippvisite, sondern er bleibt.

Das zweite, was wir hören, sind Stimmen.

„Horch!“, sagt der Prophet (was zeigt: er muss Franke gewesen sein!). Die Wächter schlafen oder arbeiten nicht wie andere, sie halten die Augen offen. Und so sehen sie als erste den Tross heranrücken, dessen Banner die richtige Farbe hat. Ihre Stimmen wecken Jerusalem aus seinem Dornröschenschlaf. Die Wächter sehen schon, was die anderen erst zu hören bekommen. Und sie jubeln.

Das dritte, was wir hören, sind die Steine.

Ja, richtig, die Steine. Während in meinem Film zu Jesaja 52 der König (er bleibt für uns unsichtbar – wir „sehen“ hier nur die Reaktionen) durch die Straßen reitet und sein Schatten auf Pflaster- und Mauersteine fällt, brechen auch die Trümmer Jerusalems in Jubel aus. Nicht nur die Menschen müssen erlöst werden, auch die Strukturen, in denen sie leben: Die Straßen, die sie verbinden und auf denen sie sich treffen, die Mauern, die sie beschützen und ihnen nachts die Wärme erhalten und am Tage Schatten spenden. Die Trümmer, die das sichtbare Symbol dafür waren, dass Gott seine Hand von Juda abgezogen hatte, sie sollen jetzt jubeln. So wie ein paar Kapitel später die Bäume in der Hände klatschen. Wenn diese (seine Jünger) schweigen, sagt Jesus am Palmsonntag den Kritikern, dann werden die Steine schreien: Diese Steine.

All diese Stimmen trösten die niedergeschlagene Stadt. Aber selbst 2500 Jahre später fragen wir uns beim Lesen: Nehmen sie den Mund nicht ganz schön voll? Ist die Antwort auf drohende Resignation denn blauäugiger Triumphalismus?

(Teil 3 gibt es morgen)

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