Himmlischer Rechnungshof?

Dallas Willard gibt ein spannendes Interview über die christliche Erlösungslehre und kommentiert die Problematik im Konzept des stellvertretenden Strafleidens Christi:

Willard: Ein Problem dieser Theorie in ihrer landläufigen Auffassung ist, dass sie Gott als jemanden darstellt, der nie vergibt. (…) Wenn Du freikommst, dann nur, weil jemand dafür bezahlt hat.

Interviewer: „Während du, Gemeindeglied in deiner Kirchenbank, 70 mal 7 mal vergeben musst, muss ich, Gott, mich in meinem Zorn besänftigen lassen, wenn jemand etwas falsch macht.

Willard: Das ist richtig. Sie gibt ein schreckliches Bild von Gott ab, und das lässt sich nicht mit dem in Einklang bringen, was Jesus über Gott gelehrt und praktiziert hat, oder was die Beziehung zu Gott in allen Zeiten für die bedeutet hat, die in Christus leben.

Willards Antwort auf die Problematik ist, dass man sich nicht auf eine bestimmte Erlösungstheorie (er nennt hier drei Ansätze) beschränken darf und dass die verschiedenen Theorien in der Regel zu kurz greifen, weil sie das Versöhnungsgeschehen nicht schon mit der Menschwerdung des Logos beginnen lassen.

In einer Diskussion neulich fiel die Aussage, man könne die hier kritisierte Theorie – gewiss in einer etwas geläuterten Form – heutigen Menschen durchaus plausibel machen. Ich habe daran keinen Zweifel. So funktioniert unsere Welt: Irgendwer muss bezahlen. Wir lesen es täglich in den Schlagzeilen. Es werden Schuldige gesucht, Strafen gefordert, Kompensationen angeboten. Und Gott ist so eine Art Präsident des obersten Rechnungshofes. Man kann das, wie gesagt, verfeinern. Aber für mein Empfinden sind die Kategorien das Problem: Ist das noch der Gott, von dem Jesus redete? Was mir bei Willard gefällt, ist dass er andere Kategorien findet, um zu beschreiben, was sich zwischen Gott und Menschen abspielt.

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Kopftücher und Kruzifixe

Da war sie wieder, die Diskussion über „religiöse Symbole“. Die Wellen schlagen wieder hoch, aber wir treten auf der Stelle. Was mich daran heute am meisten beschäftigt, sind die Klassifizierungen, mit denen da gearbeitet wird.

Erstens zum Thema „Religion“: Was sind „Religionen“ in einer Zeit, in der der dogmatische Atheismus quasireligiöse Züge annimmt? Kann man überhaupt noch klar sagen, wo Religion beginnt und endet? Wie sieht es aus mit religiösen Formen, die der Materialismus und die Konsumkultur entwickelt haben, wo bestimmte Werte und Ideale gefeiert und propagiert werden? Sprich: Gibt es irgendeinen neutralen Winkel, der ideologie- und religionsfrei wäre, und irgendeinen Punkt im kulturellen Niemandsland, von dem aus ein objektives Urteil über letztgültige Überzeugungen anderer möglich ist?

Und noch eine Stufe weiter gedacht: Ist es zielführend, alle religiösen Symbole phänomenologisch zu erfassen und in einen Topf zu werfen? Oder sind die nicht sehr unterschiedlich angesiedelt? Was ist mit den beliebten Tatoos chinesischer Schriftzeichen, und welche Symbolik steckt in Schmuckstücken und modischen Emblemen? Hat das Kopftuch im Islam denselben Stellenwert wie das Kreuz für Christen und müssten deshalb mit den Kopftüchern auch die Kreuze aus den Schulen verschwinden? Müssen Christen mit der (wohl nicht unberechtigten) Sorge leben, dass das Kopftuch nur instrumentalisiert wird, um das Kreuz loszuwerden?

Und ist es denkbar, dass neben einem ästhetisch nachvollziehbaren Widerwillen gegen die Gewalt, die mit dem Kreuz assoziiert wird und hinter der manche (fälschlich, auch christlicher Sicht) einen gewalttätigen Gott vermuten, neben dem bekannten Missbrauch (!) des Symbols in Kriegen und Kolonialisierung, auch aus anderen Gründen Widerstände gegen Kreuze richten: weil das Kreuz – aus dem biblischen Kontext heraus verstanden – immer eben auch das Symbol für die Opfer der Gewalt ist und eine Gesellschaft auf das eigene (in der Regel sauber verdrängte) Gewaltpotenzial verweist?

Kann man, wenn man ganzheitliche Bildung zum Ziel macht, auf die nicht nur theoretische Beschäftigung mit einem Symbol wie dem Kreuz, das einzelne wie eine ganze Gesellschaft vor solch tiefgreifende Fragen stellt und ein solches kritisches Potenzial hat, denn verzichten? Und bereitet man mit dieser Vermeidungsstrategie Kinder auf das Leben in einer Gesellschaft vor, die multireligiös ist und bleiben wird?

Der Versuch, Religion ins Private zu verlegen, ist doch längst gescheitert. Unser Verhältnis zu Geld und Wirtschaft, zu Glück und Gesundheit hat alle möglichen religiösen Züge angenommen. Neue Kulte sind entstanden und überschwemmen uns mit ihren Symbolen und Logos. Kreuze im Klassenzimmer sind für Christen sicher nicht unverzichtbar. Sie haben aber dort an der Wand auch einen ganz anderen Effekt als Kopftücher oder Burkas, die einzelne Schülerinnen tragen. Das grobe Raster „religiöses Symbol“ bringt unsere Diskussion nicht richtig weiter.

Aber mich beschäftigt noch eine Frage: Wie kann man als Politiker für Kreuze in den Schulen sein und zugleich eine Ökonomisierung des Schulwesens dulden, in der Effizienz zum alles entscheidenden Kriterium wird, wo unser Bildungssystem kaputtgespart und die Zukunft einer ganze Schülergeneration verspielt wird, wo die Integration schwacher Schüler und Nichtmuttersprachler in viel zu großen Klassen noch viel zu oft misslingt und (wie in der Wirtschaft) nur die Starken überleben – oder die, deren Eltern sich teure Nachhilfe leisten können? Das geht mir überhaupt nicht in den Kopf.

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Versöhnungsversuch

Ein um Versöhnung bemühter Kevin Vanhoozer kommentiert die Diskussion zwischen Tom Wright (bzw. der neuen Paulusperspektive) und den reformierten Kritikern um Piper und Horton. Bei allem, was er zur Sache zu sagen hat – sein Humor und Wortwitz ist erfrischend.

Hier als Flash-Video. Alle anderen Beiträge zu der Konferenz in Wheaton („Jesus, Paul and the People of God“) finden sich hier (danke an DoSi für den Tipp!).

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Bayernhasser

Die Szene hatte etwas derart typisches, dass die Akteure keine Rolle spielen: Das Gespräch kam auf Fußball und es fiel ein (in diesem Fall sogar nur leicht) schadenfroher Kommentar zum „Stolpern“ der Bayern in Mönchengladbach und der Möglichkeit, noch alle drei Wettbewerbe zu verlieren. Trotzdem hat es mich wieder an die zahlreichen Bayernhasser erinnert. Ich glaube, das Maß an Häme gibt es bei keiner anderen Mannschaft in diesem Land und ich kann es einfach nicht verstehen.

Was ich verstehe ist, dass man sich für eine Mannschaft begeistert. Dass es die Bayern sind, war in dieser Saison nachvollziehbar wie schon lange nicht mehr. Was mich also betrifft: Ich freue mich jede Saison genau zweimal, wenn Dortmund, Hamburg, Stuttgart oder wer sonst noch verlieren. Einmal in der Hin- und einmal in der Rückrunde. Nein, eigentlich freue ich mich, weil Bayern diese Spiele hoffentlich gewinnt. Den Rest der Saison sollen alle anderen meinetwegen gewinnen. Verdient, hoffentlich. Wenn’s sein muss, dann auch mit Dusel, wie das international spielfreie und trotzdem schlappe Schalke in Berlin.

Hätte sich also ein Fan der Gazprom-gesponserten Knappen über das Glück (und etwas anderes war das ja kaum dieses Wochenende) gefreut, könnte ich das auch verstehen. Aber all jenen, deren Verein auf Platz 3 oder drunter steht und keine Chance auf die Meisterschaft mehr hat, sollte das doch egal sein können. Alles andere wäre eine reichlich verquere Form von Selbstwertgefühl.

Bayern-Fans stecken das in der Regel so weg, dass sie den Neid als verdecktes Kompliment und die Häme als Anerkennung der Tatsache werten, dass die Bayern nicht der Buhmann, sondern das Aushängeschild des deutschen Fußballs sind – und nach innen nicht der Bodensatz oder die Unterkante, sondern das Maß der Dinge. Ob sie bei den nächsten Triple-Schritten noch stolpern oder nicht, sie können schon jetzt stolz sein auf diese Saison. Ich mag diese Truppe wegen ihres Charakters.

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Eins auf die Si-Nuss

Manfred Lütz poltert in Irre – Wir behandeln die Falschen munter gegen die Orientierung an den Sinusmilieus. Er skizziert sie kurz und stellt dann fest:

Es gibt nun Kirchenvertreter, die passgenaue Botschaften in diese Milieus senden wollen. Doch damit ist die Funktion seriöser Religion verkannt. Religion ist eine wichtige Irritation, die die Menschen aus ihrer Alltäglichkeit herausreißen kann. Sie könnte im Grunde all die blödsinnig normalen, gegen anders eingerichtete sorgfältig abgeschotteten Kreise erfolgreich aufmischen. Das hätte Pepp. Dagegen ist eine stromlinienförmig angepasste Softreligion, die genauso blödsinnig normal wird, wie es all die blödsinnig Normalen sowieso schon sind, überflüssig wie ein Kropf.

… der Kitt, mit dem die blödsinnig normalen Sinusmilieus vor allem zusammengehalten werden, ist Verachtung. Die Verachtung der anderen. Zu welchem Milieu man gehört, bemerkt man wohl am intensivsten durch den Widerwillen, der einen in anderen Milieus überfällt. Sich selbst hält man in all seiner eigenen Spießigkeit natürlich für einen Ausbund an Normalität. (S. 22/23)

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Man kann nie wissen…

Heute vormittag habe ich über das Geheimnis der Gastfreundschaft gepredigt. Nach dem Gottesdienst kam ein Paar auf mich zu. Die beiden haben sich vor gut dreieinhalb Jahren kennengelernt, als ich schon einmal über Gastfreundschaft gesprochen habe. Sie war ganz neu in der Stadt und wurde von einer Gruppe Studenten als Reaktion auf die Predigt zum Mittagessen eingeladen. Bei dem Mittagessen lernte sie einen jungen Mann kennen und heute sind die beiden glücklich verheiratet.

Das ist das Schöne – man weiß nie, was bei solchen Begegnungen alles herauskommt. Und man sollte damit natürlich auch nicht aufhören, wenn man schon in festen Händen ist. Gott hat viele Möglichkeiten, uns zu überraschen.

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Weisheit der Woche: Katholische Persönlichkeiten

Eine katholische Persönlichkeit ist eine Persönlichkeit, die durch Andersartiges bereichert wird; eine Persönlichkeit, die nur deswegen ist, was sie ist, weil sich in ihr viele andere in einer bestimmten Weise widerspiegeln. Die Distanz zu meiner eigenen Kultur, die daraus resultiert, dass ich aus dem Geist geboren bin, schafft in mir einen Riss, durch den andere hereinkommen können. Der Geist entriegelt die Tür meines Herzens, wenn er sagt: „Du bist nicht nur du; andere gehören auch zu dir.“

Eine katholische Persönlichkeit braucht eine katholische Gemeinschaft. (…) Jede Kirche muss daher sagen, „ich bin nicht nur ich; alle anderen Kirchen, in unterschiedlichen Kulturen verwurzelt, gehören auch zu mir.“ Jede braucht alle, um richtig sie selbst zu sein.

und dann fügt Volf hinzu:

Eine wahrhaft katholische Persönlichkeit muss eine evangelische Persönlichkeit sein – eine Persönlichkeit, die aus einer Umkehr hervorgegangen ist und vom Evangelium geprägt wird, und die sich an der Umgestaltung der Welt beteiligt.

Miroslav Volf, in: Exclusion and Embrace

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Hörtipp fürs Wochenende

Neben dem sympathischen irischen Akzent sind es die (nicht immer ganz neuen, aber guten) Geschichten und die genial-unkonventionellen Gedankenspünge, die Peter Rollins bei seinem Insurrection Talk hinlegt. Hat mich gleich an mehreren Stellen kalt erwischt – im heilsamen Sinn.

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Zeit und Welt

… ziehen gegensätzliche Bilanzen für die fünf Jahre, die Papst Benedikt im Amt ist. Für die Welt erklärt Martin Mosebach, warum er der richtige Mann zur richtigen Zeit ist – der messianische Tenor: Nur Benedikt kann die Kirche noch retten. Umzingelt vom grenzenlosen Relativismus ziele die Kirche auf Universalität (und das könnten nun viele konservative Protestanten wörtlich wiederholen)

… aber nicht um den Preis der Aufgabe ihrer Wahrheit. Wenn diese Wahrheit nicht mehr mehrheitsfähig ist, umso bedauerlicher für die Mehrheit.

In der Zeit widerspricht Tanja Dückers, der Mosebachs konservatives Pathos mit seinen falschen Zuspitzungen (er wehrt sich gegen die „Forderung, die Kirche müsse sich der Gegenwart und ihren gesellschaftlichen Tagesvorstellungen vorbehaltlos unterwerfen“) nicht zusagt. Darum gehe es ja gar nicht. Die Kirche, sagt sie, darf nicht zum Museum werden, doch in seiner Unbeweglichkeit verweigere der Papst

… der Kirche ihre Lebendigkeit, die untrennbar mit der Fähigkeit zum Wandel ohne Identitätsverlust verbunden ist.

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Bitte nicht weiterlesen…

… wer gerade einen neuen Namen für seine (alte?) Gemeinde sucht. Nicht, dass ich nicht auch schon versucht gewesen wäre. Aber nun hat Dennis Baker auf Out of Ur 129 hippe Namen zusammengetragen. Nach der Lektüre der süffisanten Kommentare werdet Ihr den alten Namen lieber behalten.

Meine Favoriten:

2. Revolution (Where only senior pastors get beheaded.)

8. enCompass (Wii th-|-nk [outside] the box. We R crAtiVe.)

10. Soma (Our pastor knows Greek.)

12. Rock Harbor (If your life hasn’t run aground yet, we can help.)

26. Paradox (Modernity sucks.)

43. TerraNova (Trekkies for Jesus. Live long and prosper.)

51. Mercy Street (Where Sesame Street characters go for rehab. Cookie Monster has checked in 7 times.)

68. New Life (Same baggage.)

78. 2 Pillars Church (Islam has 5. Christianity is way easier. )

90. NorthPointe (Adding an “e” tells everyone we’re sophisticated. We drink lattes.)

112. Life On The Vine (Even poop is organic.)

121. Axis (For a generation raised to believe the world revolves around them.)

122. Praxis (We adapt whatever Willow does.)

Frage: Was hätten sie wohl zu Kubik geschrieben?

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Durchgeknallt

Pete Greig hat das heute auf Facebook erwähnt (und war sprachlos) – total bizarr, aber natürlich muss man die Bibel etwas bearbeiten, damit das hier herauskommt:

Mit Goldschnitt, natürlich…

Ähnlich grotesk: die Personal Promise Bible, wo der eigene Name 7000 mal erscheint: In dieser Bibel geht es dann nur noch um mich, mich, mich und Gott.

Und vor allem natürlich um das Geschäft derer, die diese unsäglichen Produkte auf den Markt werfen.

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Weisheit der Woche: Mediendominanz

Durch die Mediendominanz und die immer geringer werdende gemeinsame Erfahrung entstehen junge Menschen, die sich in zwei Gruppen aufteilen: Die einen wollen mit der Gemeinschaft gar nichts mehr zu tun haben, die anderen hängen in klebrigen Beziehungen fest und müssen den ganzen Tag chatten, SMS schicken und auf Facebook sein. Leider tragen beide Gruppen wenig dazu bei, dass eine menschliche Gemeinschaft in einer gemeinsamen Anstrengung ihre Probleme löst und dabei über sich hinauswächst.

Hirnforscher Gerald Hüther in der SZ

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