Lesslie Newbigins 100. Geburtstag

Heute wäre Lesslie Newbigin 100 geworden, Sivin Kit hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er ist für mich einer der großen emergenten Vordenker, auch wenn das damals noch gar keine theologische Kategorie war.

Hier zur Feier des Tages ein Zitat aus „The Gsopel in a Pluralist Society“:

Unter allen Menschen gibt es eine Sehnsucht nach Einheit, denn Einheit bietet die Verheißung des Friedens. Das Problem ist, dass wir Einheit zu unseren Bedingungen wollen, und es sind unsere rivalisierenden Programme der Einheit, die uns zerreißen. Wie Augustin sagte: alle Kriege werden um des Friedens willen ausgetragen. Die Weltgeschichte könnte man als eine Abfolge von Bestrebungen erzählen, die der Welt Einheit bringen sollten, und natürlich lautet die Bezeichnung dieser Bestrebungen “Imperialismus”. Das christliche Evangelium ist manchmal zum Instrument eines Imperialismus gemacht worden, und davon müssen wir uns abwenden. Aber im Kern ist es die Verweigerung gegenüber jeglichem Imperialismus, denn in seinem Zentrum steht das Kreuz, das alle Imperialismen demütigt und uns einlädt, die Mitte menschlicher Einheit in dem zu finden, der zu Nichts gemacht wurde, damit alle eins seien.

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Weihnachtshasen

Gerhard Polt war seiner – unserer! – Zeit doch weit, weit voraus. Heute wirbt ein Mobilfunkanbieter mit „Ostereiern“ zu Weihnachten und schreibt dazu irgendwas Sinnloses von Weihnachtsmännern und Osterhasen. Vielleicht wollte man damit diese (zugegeben: deutlich intelligentere, weil ironische) Werbung eines Tabakkonzerns vom Sommer 2006 toppen.

Ich bin unschlüssig: Muss man der Firma nun dankbar sein dafür, dass sie die materialistische Resymbolisierung der großen christlichen Feste vollends ad absurdum geführt hat? Nein, vermutlich ist es ihnen gar nicht bewusst und sicher geht es ihnen um ihr Geschäft, nicht um sinnvolle Denkanstöße.

Muss man sich beim Werberat beschweren über den Missbrauch der Feste? Auf keinen Fall. Osterhase, Eier, Weihnachtsmänner gehören nicht zum Grundbestand christlicher Symbolik und in der Bibel kommen sie schon gleich gar nicht vor.

Um so besser, wenn Kampagnen wie diese unfreiwillig offenbaren, dass sie nur einem Zweck dienen: Dem Geschäft. Es gibt keine Geschichte „dahinter“, sie geben keinen Anlass zu Fragen, sie verweisen auf kein Geheimnis, das gelüftet werden muss. Sie sind, wie ihre schokoladigen Exemplare in den Regalen, völlig hohl. Und sie sind komplett austauschbar.

So austauschbar wie Mobilfunkanbieter…

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Postliberale Theologie (1)

Der folgende, mehrteilige Post ist eine Zusammenfassung meines Workshops vom Emergent Forum. Hier wie dort beschränke ich mich darauf, George A. Lindbecks theologischen Ansatz darzustellen. Die Bewertung darf jeder selbst vornehmen (idealerweise erst dann, wenn man in Ruhe hingehört hat und versteht, worum es Lindbeck geht, und nicht gleich beim ersten Gedanken, der fremd anmutet). Sein Werk Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens ist auf Deutsch leider vergriffen, im Englischen aber unter den Titel The Nature of Doctrine erhältlich. Wer also mit- oder nachlesen möchte, muss in die nächste UB fahren oder – doppelt nützlich – sein Englisch aufpolieren.

Lindbeck kommt vom ökumenischen Dialog her und umreißt zunächst zwei herkömmliche Grundformen des Verstehens von Glaube und Religion:

Der Propositionalismus geht davon aus, dass Wahrheit in Lehrformeln umfassend und objektiv wiedergegeben werden kann. Doch der Propositionalismus ist in der Defensive, und zwar schon seit langer Zeit: Kant kritisiert Grundlagen propositionalen Denkens, und die historische Kritik ging weiter weiter in dem Nachweis, dass viele biblische Aussagen und kirchliche Dogmen alles andere als zeitlos waren.

Aber auch heute ist der Propositionalismus noch als kognitiv-argumentativer Ansatz präsent. Wir finden ihn bei modernen Apologeten wie G.K. Chesterton, C.S. Lewis oder Malcolm Muggeridge, und auch Barths Theologie weist eine gewisse Nähe dazu auf, Religion und Glaube primär von den aussagbaren Glaubensinhalten her zu bestimmen. Doch die Kluft zum Rest der Welt wird größer:

Gegenwärtig sind immer weniger Menschen tief in bestimmten religiösen Traditionen verwurzelt oder voll und ganz beteiligte Mitglieder bestimmter religiöser Gemeinschaften. Das macht es ihnen schwer, Religion auf kognitive Weise als die Annahme eines Bestandes an objektiven und unwandelbar wahren Aussagen zu erfassen oder zu erfahren. (S. 44)

Der andere Typus, nämlich der erfahrungsorientierte Expressivismus, hat seine Vorläufer im Pietismus und wird von Schleiermacher weiterentwickelt. Er sieht in aller Relgiosität eine vorreflektive Tiefenerfahrung („Geist“) am Wirken. Sie ist das „Eigentliche“ und wird erst im zweiten Schritt, also nachträglich, objektiviert beziehungsweise symbolisiert. Die Begriffe und Formen hält man für kulturell geprägt. Inzwischen ist die Tendenz zur „Entobjektivierung des Dogma“ weiter fortgeschritten. Es hat sich ein eklektischer Umgang mit Religionen und Symbolsystemen entwickelt – sie werden als vielfältige Lieferanten des Rohstoffs für transzendente Selbstverwirklichung benutzt.

„Die Strukturen der Moderne drängen den Einzelnen, Gott zuerst in den Tiefen seiner oder ihrer Seele zu begegnen und dann erst vielleicht, falls er oder sie dem etwas persönlich Zusagendes abgewinnen können, sich einer Tradition anzuschließen oder einer Kirche beizutreten.“ (S. 44)

Nun aber droht eine Ghettoisierung der Theologie, denn das Gros der Forscher ist längst zu anderen Modellen übergegangen: „Der erfahrungsorientierte Expressivismus hat überall an Boden verloren, mit Ausnahme der theologischen Ausbildungsstätten und religionswissenschaftlichen wie theologischen Fakultäten, wo sich, wenn überhaupt, der Trend entgegengesetzt entwickelt.“ (49)

Eine Verschränkung der beiden Ansätze hat Bernard Lonergan im Anschluss an Karl Rahner unternommen. Für ihn stellt sich das, so fasst Lindbeck knapp zusammen, ungefähr so dar:

  1. Religionen sind objektivierende Ausdrucksformen einer gemeinsamen Kernerfahrung
  2. Sie mag auf der Ebene selbstbewusster Reflexion verborgen sein
  3. Sie ist allen Menschen eigen
  4. diese Erfahrung ist Quelle und Norm der Objektivierungen
  5. die ursprünglichste Form dieser Erfahrung ist ein „dynamischer Zustand des In-Liebe-Seins ohne Einschränkungen“
  6. einige Sachverhalte der biblischen Religionen gründen nicht nur in Erfahrung, sondern in göttlichem Offenbarungswillen

Das Problem dabei ist und bleibt jedoch: Es gibt kein aussagekräftiges Beweismaterial für die Einheitlichkeit der Ursprungserfahrung, und den Anhängern des erfahrungsorientierten Expressivismus gelingt es nicht, angesichts der empirischen Vielfalt religiöser Erfahrungsberichte klare Kriterien für die postulierte Gemeinsamkeit zu nennen. Lonergans „in Liebe sein“ etwa benutzt ganz offensichtlich explizit christliche Vorstellungen und Begriffe.

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