Ein Gänsehautgottesdienst

Es gibt nicht so viele Ereignisse, zumal Gottesdienste, die auch nach dreißig Jahren noch nachwirken. Für mich war der Abend des 29. Dezember 79 so ein heiliger Moment. Ein Etappe auf meinem persönlichen Weg wurde abgeschlossen und ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ich war ein gutes halbes Jahr festgesteckt an einer für mich wichtigen Frage: Wie – wenn überhaupt – kann ich Gott lieben?

Jesus nennt die Liebe zu Gott das höchste Gebot, zusammen mit der nicht minder unmöglichen Liebe zum Nächsten, also dem, den man sich in der Regel gerade nicht aussuchen konnte, und der daher um so mehr zum Intimfeind zu werden droht, je näher er uns ist. Dass Gott mehr als an allem anderen an meiner Liebe interessiert ist, schien mir völlig plausibel.

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Doch die Liebe zu Gott lässt sich nicht fabrizieren. Man kann sie wohl vortäuschen, man kann ein bestimmtes äußeres Verhalten imitieren, aber man kann sich selbst nicht belügen. Je mehr ich mich anstrengte, desto weiter schien ich mich von Ziel zu entfernen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Klar ist menschliche Liebe, auch Liebe zu Gott, immer schwach und (was mich betrifft zumindest, und im Rückblick auf 30 Jahre) sehr schwankend. Und doch merkt man, ob sie da ist. Ich nahm Gott und mich selbst ernst genug, um mir einzugestehen, dass es ohne diese Liebe nicht geht. Ich kann alles haben, schreibt Paulus, aber ohne Liebe ist es nichts.

Ich habe mir diesen Mangel nicht schön geredet und auch niemand anders tat es für mich. Es wusste ohnehin keiner davon. Ich kannte Menschen, die konnten Gott lieben. Sie sagten das, und ich hatte keinen Zweifel daran, dass das authentisch war. Mir aber gelang das einfach nicht, und ich konnte mir nichts in die Tasche lügen.

An diesem Tag hatte mich jemand eingeladen, eine ganz simple geistliche Übung zu machen. Anhand einer kleinen Meditation zu den zehn Geboten sollte ich mein Leben auf unbereinigte Dinge und Beziehungen überprüfen. Es kam einiges zusammen, alles keine großen Verbrechen, aber immerhin ein kleines Panoptikum von Haltungen, kleinen Gewohnheiten und Gedanken, angesichts derer mir – bei Licht betrachtet – schon immer unwohl gewesen war. Es tat gut, festzustellen: Ja, das alles ist vorhanden in mir, aber wenn ich es mir aussuchen darf, dann will ich es nicht mehr haben.

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Diese Dinge dann im Beisein eines Seelsorgers auszusprechen und beim Namen zu nennen kostete zwar etwas Überwindung, war aber dann doch eine erstaunlich nüchterne Sache. Das Gespräch endete mit einem kurzen Gebet und einer Formel, mit dem mir die Vergebung zugesprochen wurde. Die Wirkung war unerhört. Als ich später in den Gottesdienst kam, betrat ich heiligen Boden. Und ich war nicht der einzige. Heute habe ich den Pfarrer besucht, der diesen Gottesdienst damals mit uns gefeiert hat. Und zu meiner Überraschung erzählte er, dass er das ganz ähnlich erlebt hat: dicht, intensiv, voller Staunen, eine fast greifbare Gegenwart. Irgendwo tief drinnen sprudelte die Liebe zu Gott hervor, als hätte der alte Mose mit seinem Stab auf den Felsen meines Herzens geschlagen. Und sie wollte gar nicht mehr aufhören – zum Glück.

Man kann Gänsehautgottesdienste nicht machen. Sie sind selten. Eines aber kann man: Da sein. Wer nicht kommt, erlebt garantiert nichts.

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Musik statt Musketen

Ich beschränke mich auf ein paar Hinweise, den ganzen Text muss dann am besten doch jeder selber lesen: Die Zeit berichtet über ein Missionsprojekt der Jesuiten im heutigen Paraguay, das in einem höchst angenehmen Kontrast zu anderen Verschränkungen von Kolonialismus und Christianisierung in Lateinamerika steht und rund 150 Jahre lang ein Modell für Frieden und relativen Wohlstand blieb. Ab 1609 entstanden Großkommunen, die ohne Geldwirtschaft auskamen und in denen indianische Kultur und jesuitische Einflüsse sich konstruktiv verbanden, die sogenannten Jesuitenreduktionen. Man fühlt sich unwillkürlich an den Film Mission erinnert, wenn man diese Beschreibungen liest:

Die spanische Krone hatte diesen Geistlichen gestattet, Missionssiedlungen fernab der damaligen Städte zu gründen, um die Indianerstämme nicht nur für den Glauben zu gewinnen, sondern auch vor Sklavenjägern und der Leibeigenschaft auf den Plantagen der Siedler zu schützen. Auf ihren Kanufahrten durch den Dschungel begannen die Missionare schon bald, Gesänge anzustimmen. Sie hatten entdeckt, dass ihre Musik die Indianer unwiderstehlich anzog.

Es war nicht die Musik allein. Die Jesuiten kamen ohne alle Waffen. Lernten als Erstes die Sprache der Ureinwohner, verfassten Wörterbücher und Grammatiken. Aus den Dialekten des bis dahin verstreut lebenden Volkes der Guaraní schufen sie eine einheitliche Schriftsprache. Alle Kinder lernten lesen und schreiben. In ihrer Muttersprache und in Spanisch.

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Weisheit der Woche: Gärtnern statt Werkeln

Wenn der Mensch in seinem Bestreben, die gesellschaftliche Ordnung besser zu gestalten, nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten soll, wird er lernen müssen, daß er auf diesem, wie auf allen anderen Gebieten mit einer tief verflochtenen Organisationsstruktur, keine endgültigen Kenntnisse dessen erlangen kann, was ihm das Beherrschen der Vorgänge erst ermöglichen würde. Er wird sich deshalb des Wissens bedienen müssen, dessen er fähig ist. Er darf nicht die Ergebnisse formen wollen wie ein Handwerker sein Werk. Vielmehr wird er das Wachstum fördern müssen, indem er für eine angemessene Umgebung sorgt – ganz so, wie der Gärtner dies für seine Pflanzen macht. Es liegt eine Gefahr in dem überschwenglichen Gefühl einer unaufhörlich wachsenden Macht, die der Fortschritt in den Naturwissenschaften mit sich brachte und die den Menschen verlockt, … nicht nur unsere natürliche, sondern auch unsere menschliche Umgebung der Herrschaft des menschlichen Willens zu unterwerfen. Die Erkenntnis von den unüberwindlichen Grenzen seines Wissens sollten den Erforscher der Gesellschaft eigentlich Demut lehren.

Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek in The Pretence of Knowlegde

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Theorie und Praxis

Frühere Generationen von Theologen mussten mit G.E. Lessings „hässlichen Graben“ zwischen zufälligen Geschichts- und notwendigen Vernunftwahrheiten fertig werden. Theologen in der Spätmoderne stehen vor einer anderen, ebenso hässlichen Trennung. Kein Gegensatz ist für theologische Lehre so fatal wie der von Theorie und Praxis, eine tödliche Verwerfung, die Kirche und Hochschulen gleichermaßen durchzieht.

Kevin J. Vanhoozer, The Drama of Doctrine

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Welt ging verloren – Christ ist geboren

Weihnachten betonen wir – völlig zu Recht – die Immanenz Gottes: Er wird Mensch, ein Kind, er kommt uns nahe und will uns nahe bleiben, wenn auch nicht mehr in dem physisch-handgreiflichen Sinn wie vor 2000 Jahren.

Aber da ist eben auch die andere Seite, nämlich die unserer (nicht immer ehrlich eingestandenen) Erlösungsbedürftigkeit. Wir retten uns nicht selbst, sondern die Hilfe muss von außen kommen. Unsere individuellen, sozialen und globalen Probleme sind uns in ihrer Summe längst über den Kopf gewachsen. An vielen Punkten erleben wir diese Ohnmacht dann auch ganz persönlich.

Selbst mit gut gemeinten Lösungsversuchen scheitern wir, nicht nur wegen Betriebsblindheit, an der Komplexität der Verstrickungen. Ein echter Neuanfang ist erst mit einem Partner möglich, der in dieser Hinsicht unbefangen (die Bibel sagt „ohne Sünde“) ist. Befangen dagegen bestenfalls in dem Sinne, dass er uns hartnäckig liebt. Auf uns allein gestellt, ist diese Welt – unsere Welt – nämlich verloren. Nur der, der sie geschaffen hat, kann sie wieder ins Lot bringen. Und selbst ihn kostet es alles.

Eben das feiern wir heute, dass Gott nicht sagt, macht Euren Dreck doch alleine. In diesem Sinne: frohe Weihnachten!

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Unweihnachtlicher Kalauer

Bevor gleich alles in Besinnlichkeit versinkt und die große Stimmung über uns kommt, hier eine drängende Frage, die mich seit einer Weile beschäftigt:

Wie nennt man das, wenn zwei Leute darum wetteifern, wer geistlicher ist?

Antwort (funktioniert bei Franken besonders gut):

Ein Spiri-Duell

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Schön!

Mein Webhoster hat mir heute dieses Gedicht als Weihnachtsgruß geschickt, ganz ohne Kitschbild, und sich damit wohltuend von den anderen kommerziellen Weihnachtsgrüßen abgehoben, also hier zum Mitfreuen:

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt
und manche Tanne ahnt wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

– Rainer Maria Rilke –

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Unsere „Identität in Christus“

Bei einer Diskussion über geistliche Reife kam neulich mal wieder die Forderung auf, wir müssten mehr über „unsere Identität in Christus“ lehren. Ich empfand das als recht zwiespältige Angelegenheit, zumal das auch ein Schlagwort aktueller Sektengründer ist. Sie haben das aber nicht erfunden, sondern eine problematische Denkweise nur einen Schritt weiter getrieben.

Natürlich kann man das Thema auch auf gute Weise angehen, und das war zumindest die Intention. Vielleicht lässt sich das – zumal an Weihnachten – hier kurz gegenüberstellen:

Oft genug wird unsere Identität in Form von wörtlich zu nehmenden Behauptungen aufgeschlüsselt, und dann bekommt das Thema etwas Ideologisches: Wir sind in Christus dies und das, und zu diesem und jenem bestimmt. Konkret stürzt man sich meist auf Teile des Epheserbriefs, ohne nach rechts und links zu sehen. Am Ende steht dann eine Lehre wie: Wir sind in Christus erlöst, wir haben einen Platz im Himmel, wir sind zu Königen und Priestern bestimmt, es ist unsere Berufung, mit Christus zu herrschen. Und dann geht es um Heilung und Wohlstand und immer auch ein bisschen um Macht. Und eine gewisse Glaubensanstrengung ist nötig, um die offensichtliche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht zu groß werden zu lassen. Man muss es möglichst laut und oft proklamieren, um die Zweifel einzudämmen.

Ich weiß nicht, ob wir davon wirklich mehr brauchen.

Identität hat aber weniger mit Satzwahrheiten als mit Geschichten zu tun. Die sympathischere Variante dieser Lehre funktioniert also narrativ. Ich bin Teil der großen Geschichte des Segens, den Gott seit Abraham über alle Völker bringen will. In Christi Menschwerdung, Tod und Auferstehung hat diese Verheißung begonnen, sich zu erfüllen. Ich bin mitgestorben und werde mit ihm auferstehen, und als „Anzahlung“ auf dieses Leben lebt und wirkt Gottes Geist in mir. Immer wenn ich denke, jetzt ist es aus mit meiner Kraft, meinem Glauben und meiner Liebe, dann fließt aus dieser Quelle etwas nach. Ich bin Teil dieser liebenden Suchbewegung Gottes nach den Menschen, die ihm verloren gegangen sind. Und damit lebe ich als Glied der christlichen Kirche in der Spannung von Verheißung und Erfüllung, Leiden und Herrlichkeit. Ich muss gar nicht viel über mich reden, aber viel über Jesus. Was „königlich“ und „herrschen“ bedeutet, bestimmt sich damit ideologiekritisch ganz exklusiv von dem einen König her, der sich selbst aller Macht und Pracht entleerte. Jedesmal, wenn wir das Abendmahl feiern, schaue ich auf diesem Weg Gottes mit uns (und damit auch mit mir) zurück und nach vorne.

Gibt es eine bessere Form, unsere wahre Identität zu bekräftigen, als Brot und Wein und diese große Story?

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Weihnachtspredigten: die gefühlte Geburt?

Ein echtes Problem weihnachtlicher Verkündigung ist, wie wir in der Verkündigung mit einmaligen geschichtlichen Ereignissen umgehen, die vielen Hörern bekannt sind und leider auch schon ein paar Jahre zurückliegen. Technisch gesagt geht es um die Frage der Aktualisierung:

  • Da gibt es erstens den Versuch, das Ganze hypothetisch in die Gegenwart zu verlegen. Dass das nicht immer gelingt, bedeutet nicht, dass es nicht erlaubt ist. Nur muss man verstehen, dass wenn Hirten plötzlich wie Erkan und Stefan reden, nicht nur die alte Sprache weg ist, sondern auch der kulturelle Hintergrund der messianischen Erwartung, zu der unsere Gesellschaft kein Gegenstück anbieten kann. Die fehlt heute auch deshalb, weil Christen seit 2000 Jahren (mehr oder weniger) unermüdlich davon reden, dass er schon gekommen ist. Er muss also nicht noch einmal geboren werden, und wo immer der Anspruch erhoben würde, wären Christen die ersten, die versuchen, da wieder die Luft abzulassen. Es ist schlechterdings unwiederholbar.
  • Die andere Option ist: wir lassen die alte Geschichte so stehen und destillieren eine bestimmte Moral heraus. Die kann sozial sein: „Kümmere dich um die Armen“. Oder ein Appell an die Motivation: „Stell dich Gott so bedingungslos zur Verfügung wie Maria“. Nichts davon ist falsch. Die Frage ist nur: Was ist daran Zuspruch einer guten Nachricht? Und ist es fair, solche Ausnahmesituationen zur Norm zu erklären?
  • Dritte Möglichkeit: Wir vergeistlichen das Ganze und drängen auf das innere Nachvollziehen. Ein Predigttitel aus dem Internet dazu: „Der Stall in uns“ (den Text dazu habe ich nicht gelesen). Das bekannte Motto stammt von Angelus Silesius: Christus könnte tausendmal in Bethlehem geboren sein, er muss in Deinem Herzen geboren werden. Mit Verlaub: das ist Nonsens. Jesus muss genauso wenig in meinem Herzen geboren werden, wie er in meinem Herzen gekreuzigt werden muss. Beides ist schon geschehen – ein für allemal. Wenn jemand „wiedergeboren“ werden muss, dann sind es nach Auskunft des Neuen Testaments wir. Es geht nicht darum, eine geschichtliche (und damit äußere) Wahrheit innerlich zu emulieren oder sogar zuallererst entstehen zu lassen. Das Problematische dieses (im Ansatz narzisstischen) Denkens ist die Implikation, dass etwas nur „wirklich“, „gültig“ oder „echt“ ist, wenn es in meinem inneren Erleben und Gefühl stattfindet.

Dieses Problem haben wir viel zu oft: Wir blenden aus, was keine unmittelbare Betroffenheit und Resonanz in unserem Inneren auslöst. Wenn der Winter ein Jahr mal wieder kälter ausfällt, der Klimawandel für uns kein gefühlter mehr ist, dann werden wir träge. Ganz ähnlich verfahren wir in anderen Lebensbereichen: So lange uns bestimmte Kollateralschäden unseres Handelns nicht direkt betreffen, existieren sie auch nicht. Das gilt für das ächzende Bildungssystem (auch da dauert es Jahrzehnte, bis Versäumnisse spürbar werden) wie für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen wir den anderen Menschen nur als Verlängerung und Erweiterung des eigenen Egos betrachten.

Aus eben dieser Gefangenschaft des homo incurvatus will uns das Evangelium ja befreien: Alles hängt jedoch davon ab, dass etwas in der äußeren Welt geschehen ist, das diese Welt in ein neues Licht taucht, das sie in ihren Fundamenten erschüttert und unwiderruflich verändert hat, und zwar auch dann, wenn ich es ignorieren würde oder bei dem Gedanken daran gerade vor lauter Weihnachtsrummel gar nichts empfinde. Ich muss mich nicht einmal um mein frommes Gefühl drehen. Es versagt ohnehin ständig.

Daher gilt auch an Weihnachten: Der erwachsene Christus klopft bei uns an und möchte eintreten. Kein Christkind, sondern der Auferstandene. Wir sind bereits im nächsten Akt des Dramas: Gottes Geist ist in der menschlichen Geschichte am Handeln. Weihnachten gibt uns einen Hinweis darauf, wo wir ihn finden: Bei den Kindern, den Armen, den Heiden, den Verlierern. Aber auch bei allen, in denen die Hoffnung lebendig geblieben ist, dass Gott seine großen Verheißungen erfüllt – und die deshalb nach Gerechtigkeit hungern und dürsten.

Die Krippe ist dabei (von Paulus von Philipper 2,6ff her verstanden) auf der einen Seite der erste Schritt in Richtung Kreuz. Auf der anderen Seite ist die Menschwerdung Gottes der erste Schritt zur „Vergöttlichung“ des Menschen (so sagten es die griechischen Väter – wir sagen: ewiges Leben) und zur Neuschöpfung der Welt. Und die steht noch aus.

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Postliberale Theologie: Ein Zwischenspiel

Auf Zeit Online berichtet Matthias Stolz entwaffnend ehrlich von seinen Schwierigkeiten mit dem Glauben und seiner katholischen Kirche. Die Beschreibung passt wirklich gut zu Lindbecks sprachlich-kulturellem Ansatz, finde ich. Es geht ums Glauben Lernen, Glauben verlieren und Glauben bewahren:

Ich habe in meiner Kindheit gelernt zu glauben, so wie man auch ein Instrument lernt. Als Erwachsener habe ich verlernt, dieses Instrument zu spielen. Jetzt ahne ich, dass es ein Reichtum ist, den ich nicht einfach abgeben sollte. Wenigstens nicht ganz. Früher, wenn Ostermesse war, gab es das Spiel unter uns Kindern, das Osterlicht, die brennende Kerze, aus der Kirche mit nach Hause zu tragen. Also hatten wir diese Kerze und schützten sie gegen den Wind, auf dass sie nicht erlösche. So ähnlich muss ich meinen Glauben jetzt auch schützen, denke ich.

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Der Gipfel der Enttäuschung?

Der Klimagipfel steht offenbar vor dem endgültigen Scheitern und man mag sich gar nicht ausmalen, was das für die Ärmsten der Welt bedeutet – geschweige denn für die Artenvielfalt, die Ausbreitung von Krankheitserregern und Parasiten, lokale Konflikte um Wasser, Flüchtlingsströme und was sonst noch alles als Folge eines globalen Temperaturanstiegs droht, besonders wenn bestimmte Schwellen überschritten und Kipp-Punkte erreicht werden.

Vielleicht ist es ja besser, wenn gar kein Ergebnis herauskommt, als eine maue Absichtserklärung, die die globale Rat- und Tatenlosigkeit nur vertuscht. Dann bleibt die Hoffnung, dass der Druck ausreicht, um bald einen neuen Anlauf zu nehmen.

Ich kann die Wut der Aktivisten verstehen auf den halbherzigen Einsatz vieler Politiker, auf unverbindliche Angebote und Sonntagsreden (auch unter der Woche) und vieles mehr. Sie erinnern mich an die Propheten des Alten Testaments, die den faulen Frieden und das kurzsichtige, größenwahnsinnige Handeln ihrer Könige beklagten, die verdeckten Motive ans Licht zerrten und auf die bitteren Folgen hinwiesen.

Klar kann jeder selbst kleine Schritte gehen und seinen persönlichen Beitrag leisten. Aber vielleicht bleibt uns darüber hinaus nicht viel anderes übrig, als die demonstrative Klage und Trauer im Namen der Opfer, die dieses Versagen fordern wird.

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„Missional“ und doch „normal“?

Neue Schlagwörter wie „missional“ und „emergent“ (ganz zu schweigen von „postmodern“) haben eine merkwürdige Wirkung. Die einen werden neugierig, die anderen fühlen sich ausgeschlossen. Das liegt in der Natur der Sache. Wo Neues entdeckt oder entwickelt wird, da werden notwendigerweise auch neue Begriffe geprägt. Bei technischen Innovationen sind wir das gewohnt und eignen uns Begriffe wie WLAN und UMTS an. Wenn es um Kirche und Gemeinde geht, haben viele verständlicherweise die Nase voll von den neuesten Trends und betrachten den jeweils „letzten Schrei“ erst einmal mit Argwohn.

In Gesprächen kommt dann irgendwann die Frage auf: „Ich komme aus einer ganz normalen Gemeinde. Ist das auch etwas für mich?“. Ich finde die Formulierungen schon immer aufschlussreich: Am häufigsten sagen Leute „ganz normale Landeskirche“. Ich weiß schon, was damit gemeint ist, aber mir scheint trotzdem, dass dabei zwei Aspekte untergehen, die wichtig sind: Erstens sind auch landeskirchliche Parochien sehr unterschiedlich. Das einzige, was man daran als „normal“ bezeichnen kann, ist die institutionelle Grundstruktur. Und die – das ist der zweite Punkt – ist rein zahlenmäßig betrachtet eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der globalen Christenheit, also gerade nicht „normal“, wenn man das statistisch versteht. Theologisch sowieso: Weder Kirchensteuer noch Gemeindebezirke und Beamtenrecht sind dem Neuen Testament abgeschaut.

Richtig problematisch wird dann der andere Versuch: irgendein zeitloses (in der Regel dann „biblisches“) Ideal als Norm zu formulieren – die Urgemeinde, der Jüngerkreis, die Pneumatiker in Korinth, der „fünffältige Dienst“ – das wir in Reinkultur hier wieder zu errichten hätten. Das „normale“ am Neuen Testament ist, dass jede Gemeinde ein bißchen anders aussieht. Für Theologen: Darin steckt auch die Weisheit von Minimaldefinitionen wie CA VII, dass sie nicht zuviel sagen wollen. Aber natürlich ist das keine breit entfaltete Ekklesiologie, die muss noch dazu kommen, wird sich aber in ihren Konkretionen auch ständig ändern.

Und so ist die Erkenntnis, dass keiner „normal“ ist – und damit auch keiner abnormal, also falsch – schon der erste Schritt dahin, die eigene Situation als einzigartig wahrzunehmen. Und hier sind wir mitten in der emergenten/missionalen Diskussion. Wenn es kein „Normalmodell“ mehr gibt, dem man sich einfach nur anzupassen hat, dann geht es nun um einen längeren Weg, eine kontinuierliche Suche und ein beständiges Fragen und Lernen: Was hat Gott mit der Welt vor? Was bedeutet das hier vor Ort? Welche Rolle können wir mit unseren Stärken und Grenzen darin spielen? Welche Schritte führen in diese Richtung? Wer ist noch unterwegs in diese Richtung? „Normal“ sind wir jedoch alle darin, dass wir mit einer gewissen Ratlosigkeit vor völlig neuen Fragen und Aufgaben stehen.

Einen Mann, der dieses Gespräch mit LeiterInnen und Gemeinden in vielen Ländern geführt hat und führt, haben wir für das Wochenende von 12. bis 14. März eingeladen: Alan Roxburgh. Hier geht es zum Download des Flyers. Und für alle, die gern einen Vorgeschmack hätten, hier ein Video (21:30 min) von Alan in einer Frage- und Antwortrunde, das vor einer Weile in Australien aufgenommen wurde.

Questions & Reflections on Being the Missional Church from Roxburgh Missional Network on Vimeo.

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Postliberale Theologie (6)

(Für alle, die erst hier einsteigen: Die Begriffe sind z.T. in den vorhergehenden Posts erklärt: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5)

Bei Sprachen ist es ja nun nicht so, dass eine „wahrer“ ist als die andere. Wie also lassen sich sprachlich-kulturell die Beziehungen der Religionen untereinander beschreiben, ohne in den Propositionalismus zu verfallen, der nur Wahrheit und Irrtum (oder gar Lüge) kennt? Lindbeck sieht hier mehrere Möglichkeiten:

  1. Unvollendet/Vollendet: Christen erkennen zum Beispiel die Schriften des Judentums an, halten die Offenbarung Gottes aber für unvollständig; ähnlich würden manche Vertreter des Islam die Beziehung zum Christen- und Judentum beschreiben
  2. Unterschiedliche Religionen sind einfach die Objektivierung gleicher oder ähnlicher Erfahrungen (das war der Expressivismus), sie meinen also dasselbe.
  3. Komplementär: Sie beschreiben verschiedene Dimensionen der Existenz, diese sind aber nicht prizipiell unvereinbar. Christen könnten etwa von Buddhisten etwas lernen über Meditation, die Buddhisten sich das soziale Handeln der Christen aneignen.
  4. Direkter Gegensatz: Widersprechende Ziele innerhalb gemeinsamer/überlappender Karten
  5. Kohärent/inkohärent bzw. Authentisch/Inauthentisch (echte Gläubige vs. nur oberflächlich oder aber militant Religiöse)
  6. Mehrere dieser Bestimmungen können gleichzeitig zutreffen

Für den religiösen Dialog bedeutet das: Kulturell-sprachlich steht erstens weniger die kooperative Erforschung gemeinsamer Erfahrungen im Zentrum, weil diese nicht mehr wie beim erfahrungsorientierten Expressivismus (der eigentlich nur Modell 2 zulässt) als das Eigentliche betrachtet und im Kern mit einander identifiziert werden.

Im Blick auf Amos 9,7-8 fragt Lindbeck: Es gibt in der biblischen Offenbarung zweifellos den Zeugenauftrag des Gottesvolkes, aber vielleicht hat Gott „nicht alles, was das Kommen der Gottesherrschaft betrifft, jenem Volk expliziter Zeugen anvertraut, das weiß, was und wo Jerusalem ist, und das (wie die Gläubigen hoffen) – wenn auch nur abweichend – darauf zuwandert.“ (S. 85)

Wenn also auch die anderen im Plan Gottes für seine Welt eine Rolle spielen könnten, fragt er weiter, ob die missionarische Aufgabe von Christen auch manchmal (wichtig: nicht prinzipiell, und nicht prinzipiell nur…) sein könnte, Juden (bzw. Muslime, Marxisten, …) zu ermutigen, bessere Juden (oder …) zu werden.

Im nächsten Post geht es weiter mit der Frage des Heils und den verschiedenen Religionen.

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Adventsmusik

Das Lied und sein franziskanischer Sänger haben schon einige Jahre auf dem Buckel, aber ich finde es immer noch großartig: John Michael Talbot und seine Advent Suite


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