Komischer Guru

Auf dem Bahnsteig in Aarau setzte sich ein Inder mit Bart und blauem Turban neben mich, etwa 60 Jahre alt und untersetzt. Er erklärte mir, dass er ein Guru ist und spüre, dass bei mir die innere Balance nicht ganz stimme. Ich war eigentlich ganz guter Dinge (nur etwas müde). Aber die Neugier siegte. Er bot mir an, er würde mir erst meine Vergangenheit erzählen, dann meine Gegenwart, und dann meine Zukunft. Und wenn die ersten beiden richtig seien und mir seine Zukunftsprognose zusage, könne ich ihm hinterher Geld geben.

Ich fand die Vorstellung komisch und amüsant zugleich. Wir stiegen in den Zug, und in den nächsten 20 Minuten kritzelte er vor meinen Augen auf einem Blatt ein Zahlenquadrat und einzelne Buchstaben. Über meine Vergangenheit wusste er nichts konkretes zu sagen. Einmal merkte er an meinem Gesicht, dass er einen Zufallstreffer hatte („look at me“), aber er versemmelte die Fährte im nächsten Satz, der einer wahrscheinlichen, aber in meinem Fall falschen Vermutung folgte.

Dann riss er von dem Blatt zwei kleine Zettelchen ab, beschrieb einen, faltete ihn zusammen und gab ihn mir in die Hand. Über meine Gegenwart wusste er gar nichts Konkretes zu sagen, stattdessen stellte er mir Fragen nach meinen Wünschen. Ich suchte drei halbwegs authentische, aber harmlose aus und musste ihm diese dann erzählen, um gleich darauf von ihm zu hören, dass ich eigentlich Geld brauche, dann bekäme ich all diese Dinge dafür. wenn ich genügend Geld hätte, wäre auch mein Verhältnis zu Gott besser. Na, sehr spirituell, dachte ich mir.

Vor den drei Wünschen sollte ich eine Zahl zwischen 10 und 100 wählen und eine Farbe. Beides schrieb ich – den kleinen Zettel in der linken Hand – auf das Blatt mit seinen Zahlen und Buchstaben schreiben. Nachdem ich meine Wünsche beschrieben hatte (wir waren schon am Stadtrand von Zürich angekommen), sollte ich den kleinen Zettel auf das Blatt mit den Zahlen legen. Ich tat das, aber er schubste den Zettel zurück: Ich sollte es bewusst auf eine bestimmte Zahl platzieren.

Da lag dann also der Zettel auf der 9 und er sagte, wenn darauf nun die Farbe und die Zahl stünden, die ich vorhin genannt hätte (den Zettel hatte ich ja schon in der Hand), dann sei das der Beweis, dass seine Voraussage einträfe. Ich sagte, dass er den Zettel eben auch hätte austauschen können. Der Guru war etwas pikiert, wollte das Spiel aber doch zu Ende bringen. Natürlich stand da die richtige Antwort, als wir das Papier aufwickelten. Aber ich hatte ja gesehen, dass er zwei Zettelchen gemacht hatte. Vom anderen gab es keine Spur.

Natürlich werde mein wichtigster Wunsch in Erfüllung gehen, erklärte er mir dann, und schrieb auf einen neuen Zettel die folgenden Buchstaben: F 100, F 200, F 300. Wie viele Franken ich ihm nun geben wolle? Ich hatte erstens gar keine mehr einstecken und erklärte zweitens, dass mich seine Vorstellung auch nicht sehr beeindruckt hätte. Im Wesentlichen war es halt ein Taschenspielertrick. Der Frust stand dem Guten ins Gesicht geschrieben. Ich gab ihm ein paar Euro, damit er sich etwas zu Essen kaufen konnte. Er bettelte noch um ein paar mehr (die Mitreisenden waren schon ausgestiegen), dann trollte er sich.

Ich war ein bißchen enttäuscht: Sind Leute so verzweifelt auf der Suche nach Glück und Geld, dass man sie derart simpel übertölpeln kann? Die nicht unbedingt neue Quintessenz dieser Episode: Wenn einer Geld will, dann ist er ein falscher Prophet.

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